Mahnung aus der Vergangenheit: Zehn weitere Stolpersteine verlegt
Am 21. November wurden in Coburg zehn neue Stolpersteine verlegt, die an Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern. Bürgermeister Can Aydin betonte die Bedeutung des Gedenkens, während Schüler*innen und Stadtheimatpfleger Boseckert die Lebensgeschichten der Opfer präsentierten.
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Dieses Zitat aus dem Talmud inspirierte den Künstler Günter Demnig 1992 zu den Stolpersteinen. Auf diesen messingfarbenen Pflastersteinen sind die Lebensdaten von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eingraviert. Sie werden vor dem letzten freiwillig gewählten Wohnort verlegt. 3. Bürgermeister Can Aydin hob die Bedeutung dieses Gedenkens hervor: „Die Stolpersteine erinnern uns daran, dass hinter den Zahlen und Statistiken des Holocaust individuelle Schicksale stehen – Kinder, Frauen und Männer, denen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder politischen Überzeugungen schwerstes Unrecht widerfahren ist.“ Seit Beginn des Projekts in Coburg im Jahr 2009 sind insgesamt 130 Stolpersteine verlegt worden. Am 21. November kamen zehn weitere hinzu.
An den einzelnen Stationen erzählten Schüler*innen der Heiligkreuzschule, der Realschule Coburg I, der Gymnasien Albertinum und Ernestinum sowie der Wirtschaftsschule vom Leben der Opfer. Eindringlich schilderten sie von Flucht und Vertreibung, von verloren Spuren und grausamen Ermordungen.
So wurde das Schicksal der Familie Kohn geschildert, deren letzter Wohnsitz in der Sally-Ehrlich-Straße 1 lag. Während Herbert Kohn nach Palästina fliehen konnte, wurde sein Bruder Karl 1942 nach Piaski in Polen deportiert. Dort verliert sich seine Spur. Auch für den Unternehmer Sally Ehrlich und seine Familie wurden in der nach ihm benannten Straße Steine verlegt. Weitere Stationen waren die damaligen Wohnorte des ehemaligen Bürgermeister Ernst Altenstädter in der Kanalstraße und der Geschwister Clara Fränkel und Selig Siegfried Stern nahe der Mohrenbrücke. Die Route endete in der Mohrenstraße 26 mit einem Gedenken an Helene Rosenbaum, geborene Masur, und ihren Bruder Dr. Alfred Masur.
Engagierte Coburger*innen haben die neuen Stolpersteine durch eine Patenschaft unterstützt. Bürgermeister Aydin überreichte an jeder Station die entsprechenden Urkunden. Dabei betonte er die Wichtigkeit, ein Zeichen gegen Intoleranz, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu setzen: „Coburg ist eine weltoffene, vielfältige und tolerante Stadt – ein Ort des Miteinanders und Füreinanders.“ Die Stadt dankte allen Beteiligten für ihr Engagement, die Erinnerungskultur lebendig zu halten.
Die Geschichten hinter den neuen Stolpersteinen
Sally-Ehrlich-Straße 1
Karl Kohn
geb. 20. Juli 1910 in Coburg, deportiert am 2. April 1942
Unter dem Eindruck des NS-Terrors verließ er 1934 Coburg mit dem Ziel Nürnberg. 1939 heiratete er die Jüdin Elisabeth Keller in Augsburg. Hier lebte das kinderlose Paar bis zum 2. April 1942. An diesem Tag wurden Karl Kohn, seine Frau und ihre Eltern erst in das Sammellager München-Milbertshofen und anschließend in das Ghetto Piaski in Polen deportiert. Dort verliert sich ihre Spur. Es ist davon auszugehen, dass alle den Holocaust nicht überlebt haben.
Herbert Kohn
geb. 2. Dezember 1918 in Coburg
1937 wurde Herbert Kohns Vater Max wegen „Rassenschande“ verhaftet. Infolge der Reichspogromnacht 1938 wurde Herbert Kohn, wie viele weitere Coburger Jüdinnen und Juden durch die Straßen getrieben und auf dem Markt an den Pranger gestellt. Die jüdischen Männer wurden im Anschluss in die Angerturnhalle gebracht und sollten in KZ Dachau deportiert werden. Dazu kam es nicht. Nach seiner Freilassung entschied er sich zur Flucht.
Im April 1939 schloss sich Herbert Kohn der zionistischen Organisation Hechaluz an, die ihn zusammen mit anderen in Brandenburg und Paderborn auf ein Leben in Palästina vorbereitete. Im August 1940 begann seine Flucht über Wien und das Schwarze Meer. Mit der SS Pacific erreichte er Palästina, wurde jedoch von der britischen Mandatsmacht als illegaler Einwanderer festgenommen. An Bord der SS Patria sollte er zusammen mit 1900 weiteren Personen nach Mauritius deportiert werden. Dazu kam es nicht. Auf dem Schiff explodierte eine Bombe, die das Auslaufen verhindern sollte. Herbert Kohn überlebte die Explosion. Zusammen mit weiteren Überlebenden wurde er im 20 Kilometer südlich von Haifa gelegene Lager Atlith interniert.
Nach internationalen Protesten ließ die Mandatsmacht die Überlebenden 1941 frei. Herbert Kohn, der sich fortan Zwi Kohn nannte, baute sich in Palästina eine neue Existenz auf. Der letzte historisch gesicherte Hinweis in auf ihn stammt auf dem Jahr 1960. Zu diesem Zeitpunkt lebte er mit seiner Familie in Givʿatajim, einer Stadt östlich von Tel Aviv.
Sally-Ehrlich-Straße 10
Anna Ehrlich, geb. Sichel
geb. 19. Juni 1889 in Veitshöchheim, verst. 1984 in Scottsdale, Arizona
Zusammen mit ihrem Ehemann Hermann Ehrlich zog Anna Ehrlich 1914 nach Coburg, wo Hermann Ehrlich zusammen mit seinem Bruder Sally eine Hut- und Mützenfabrik leitete. Sie hatten zwei Kinder, Karl (geb. 1915) und Hildegard (geb. 1918).
Aufgrund der zunehmenden antisemitischen Gewalt durch die Nationalsozialisten verließen die Kinder 1933 Coburg. 1938 wurden Anna und Hermann Ehrlich in der Reichspogromnacht öffentlich gedemütigt. Hermann wurde verhaftet. Nach der Freilassung 1939 floh die Familie nach England zu ihrer Tochter. 1940 ging es weiter in die USA, wo Sohn Karl auf seine Eltern wartete.
Die Familie ließ sich in Camden, New Jersey, nieder. Hermann Ehrlich arbeitete zunächst als Eierhändler, starb jedoch 1961. Anna Ehrlich zog später nach Scottsdale, Arizona, wo sie 1984 im Alter von 95 Jahren starb.
Karl Ehrlich
geb. 20. Juni 1915 in Coburg, verst. 14. Februar 1999 in Cherry Hill, New Jersey
Der Sohn von Hermann und Anna Ehrlich besuchte das Gymnasium Casimirianum und war begeisterter Leichtathlet. Auf Grund des alltäglichen Antisemitismus verließ er 1933 Coburg und zog nach Berlin. Ab 1936 bemühte er sich um die Ausreise in die USA, die erst 1938 mit Unterstützung eines Verwandten gelang. Er ließ sich in Camden, New Jersey, nieder und arbeitete bei der „Style Park Hat Co“.
1943 trat er in die US-Armee ein und kehrte 1945 als Besatzungssoldat nach Coburg zurück. Er war als Assistent des Militärgouverneurs tätig, der die Voraussetzungen für den Aufbau einer zivilen Verwaltung feststellen sollte. Auf Initiative Karl Ehrlichs entschloss sich der Stadtrat 1946 einen Teil des Zinkenwehrs in Sally-Ehrlich-Straße umzubenennen. Auch die Gedenktafel für seinen Onkel geht auf Karl Ehrlich zurück. Nach dem Militärdienst kehrte er in die USA zurück, arbeitete im Einzelhandel und heiratete 1950 Sybil Frank. Das Paar hatte zwei Kinder.
Wir wissen viel über Karl Ehrlich, weil er 1988/89 dem Autor Hubert Fromm über seine Erinnerungen an Coburg berichtet hat. Karl Ehrlich starb am 14. Februar 1999 in Cherry Hill, New Jersey.
Hildegard Ehrlich, verh. Reinstein
geb. 9. Februar 1918 in Coburg, verst. 20. April 1999 in Scottsdale, Arizona
Die frühe Kindheit der Tochter von Hermann und Anna Ehrlich war geprägt von sportlichen Erfolgen als Leichtathletin beim VfB Coburg. Sie besuchte die Rückert- und später die Alexandrinenschule. Um sie vor den Übergriffen der Nationalsozialisten zu schützen, schickten ihre Eltern sie 1933 auf eine jüdische Mädchenschule und 1935 nach England, wo sie als Hausmädchen arbeitete und ihre Ausbildung fortsetzte.
1938 besuchte Hildegard ihre Eltern letztmals in Coburg. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde ihr Vater inhaftiert, das Haus der Familie wurde zwangsweise verkauft. 1939 flohen ihre Eltern zu ihr nach England, bevor sie 1940 zusammen in die USA flohen. 1941 heiratete Hildegard Ehrlich in New York Alfred Reinstein, mit dem sie zwei Söhne hatte. Sie führte ein erfülltes Leben als Hausfrau. Wir wissen viel über Hildegard Reinstein, weil er 1988/89 dem Autor Hubert Fromm über ihre Erinnerungen an Coburg berichtet hat. Hildegard Reinstein starb am 20. April 1999 in Scottsdale, Arizona, im Alter von 81 Jahren.
Edith Katz
geb 27. Dezember 1911 in Hildburghausen, ermordet im KZ Auschwitz-Birkenau
1937 zog Edith Katz mit ihrer Mutter Jenny Katz, geb. Ehrlich, von Meiningen nach Coburg. Dort betrieben ihre Onkel Sally und Hermann Ehrlich eine Hutgroßhandlung. Aufgrund des immer stärker werdenden NS-Terrors floh zu einem bisher unbekannten Zeitpunkt Edith nach Frankreich, wo sie einen gefälschten holländischen Pass erhielt. Im November 1938 wurde sie in Paris verhaftet. Später geriet sie in das Internierungslager Gurs und wurde am 5. August 1942 mit über 1000 anderen Menschen ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Rund zwei Drittel der Deportierten dieses Transports wurden dort sofort getötet. Die übrigen Deportierten kamen als Häftlinge ins KZ und wurden bis auf eine Person zu einem unbekannten Zeitpunkt ermordet. Es ist davon auszugehen, dass Edith Katz unter diesen Häftlingen war.
Kanalstraße 3
Ernst Altenstädter
geb. 24. Februar 1867 in Coburg, verst. 2. März 1933 in Erlangen
Nach dem Besuch der Oberrealschule, dem heutigen Ernestinum, nahm Ernst Altenstädter 1884 eine Verwaltungstätigkeit im Coburger Landratsamt auf. Er stieg schnell zum Amtssekretär auf. Zwischen 1896 und 1897 war er kommissarischer Bürgermeister von Neustadt. 1899 wechselte er als Stadtkämmerer nach Coburg. Als Stadtkämmerer übernahm er gleichzeitig den Vorsitz in der Schlachthof-, Armen- und Spitalkommission. Aufgaben, die er mit großer Sorgfalt und Pflichtbewusstsein erfüllte. 1910 verlieh ihm Herzog Carl Eduard den Ehrentitel Bürgermeister. Nach dem Ende der Monarchie und dem Anschluss Coburgs an den Freistaat Bayern wurde Altenstädter 1921 zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt.
Als Bürgermeister arbeitete er bis in die Nacht und hörte sich auch Bürgeranliegen an, die nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Dieses Arbeitspensum belastete Altenstädters Gesundheit zunehmend. Die NSDAP erlangte 1929 die absolute Mehrheit bei den Coburger Stadtratswahlen. Gezielte Maßnahmen der Nationalsozialisten, wie das ständige Vertagen von wichtigen Sitzungen, ließen keine ausreichenden Erholungsphasen zu. Im Januar 1930 gab er auf und meldete sich krank. Ein Jahr später versetzte der Stadtrat Altenstädter auf dessen Antrag in den Ruhestand. Am 2. März 1933 starb er im Alter von 66 Jahren in Erlangen. Er wurde in Coburg auf dem Glockenbergfriedhof beigesetzt.
Mohrenstraße 10
Selig Siegfried Stern
geb. 28. Juni 1854 in Gleicherwiesen, verst. 7. April 1945, Los Angeles
1873 zog Selig Siegfried Stern mit seinen Eltern und Geschwistern nach Coburg, wo er 1879 Prokurist wurde und gemeinsam mit seinem Vater Marcus Stern eine Viehhandlung leitete. 1890 errichtete sein Vater ein Wohn- und Geschäftshaus an der Mohrenstraße, das er nach dessen Tod 1915 übernahm. Selig Siegfried Stern heiratete am 16. August 1891 Bertha Gutmann. Das Ehepaar hatte zwei Söhne: Hans-Herbert, geboren am 4. Dezember 1894, und Kurt, geboren am 29. Oktober 1904.
Im Ersten Weltkrieg versorgte Selig Siegfried Stern das Heer, Lazarette und Kriegsgefangenenlager mit Schlachtvieh. 1917 wurde stellvertretendes Mitglied des Schiedsgerichts des Viehhandelsverbandes Thüringen.
Mit der NS-Machtübernahme 1933 verschlechterte sich seine wirtschaftliche Lage. Ein Boykott führte zu Zahlungsschwierigkeiten und die Stadt Coburg verbot 1935 Juden den Viehhandel. Selig Siegfried Stern wurde seine Handelskonzession entzogen. 1938 verkaufte das Haus in der Mohrenstraße. Er verließ Coburg und zog zu seinem Sohn Kurt nach Karlsruhe. Am 12. Dezember 1938 emigrierte er mit dessen Familie in die USA. Er lebte fortan in Los Angeles und erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft. Stern starb am 7. April 1945 im Alter von 90 Jahren.
Clara Fraenkel, geb. Stern
geb. 10. Dezember 1864 in Gleicherwiesen, verst. 16. Mai 1938, Kutzenberg
1873 zog Clara Stern mit ihren Eltern und Geschwistern nach Coburg. Ihr Vater Marcus Stern eröffnete dort eine Viehhandlung. Sie besuchte die Mädchenschule und feierte 1876 ihre Bat Mitzwa.
1896 heiratete sie den Kaufmann Abraham Josef Fraenkel und zog mit ihm nach Chemnitz. Nach dessen frühem Tod 1898 kehrte sie mit ihren Kindern Dora und Harry nach Coburg zurück. Sie lebte zunächst in der Bahnhofstraße, nach dem Tod ihrer Mutter in ihrem Elternhaus in der Mohrenstraße.
Nach 1933 verschlechterte sich die Lage der Familie durch die NS-Machtübernahme. Clara Fraenkel unterstützte ihren Bruder Selig Siegfried Stern finanziell, als dessen Viehhandel boykottiert und später verboten wurde. Ihre eigene Gesundheit litt zunehmend, sie erkrankte an Arteriosklerose und wurde in die Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg eingewiesen, wo sie am 16. Mai 1938 starb. Clara wurde auf dem jüdischen Friedhof in Coburg beigesetzt. Ihren Kindern gelang die Flucht in die Vereinigten Staaten.
Mohrenstraße 26
Helene Rosenbaum, geb. Masur
geb. 10. November 1870 in Coburg, verst. 9. Februar 1941 in Coburg
Ihre Eltern, Israel und Nanni Masur, gehörten zu den ersten jüdischen Familien, die sich in Coburg ansiedelten. Ihr Vater führte ein erfolgreiches Geschäft und war ein Mitbegründer der israelitischen Kultusgemeinde. Helene besuchte die Coburger Mädchenschule und feierte 1882 ihre Bat Mitzwa.
1892 heiratete sie Julius Rosenbaum, einen Kaufmann aus Schlesien. Nach dessen frühem Tod 1895 bei einem Schiffsunglück blieb die Ehe kinderlos. Helene lebte zunächst in Berlin, kehrte 1919 nach Coburg zurück und kümmerte sich um ihren Vater und später um ihren verwitweten Bruder Alfred Masur.
In den 1930er-Jahren erlebte Helene die zunehmende Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Ihr Bruder Alfred Masur wurde mehrfach inhaftiert, seine Praxis zerstört und seine berufliche Existenz vernichtet. Nach der Reichspogromnacht 1938 lebte Helene zurückgezogen und erkrankte an Krebs. Sie starb im Alter von 70 Jahren am 9. Februar 1941 im Coburger Landkrankenhaus. Helene wurde auf dem jüdischen Friedhof in Coburg beigesetzt. Ihr Vermögen eignete sich der deutsche Staat an.
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