Liebe Coburgerinnen, liebe Coburger,
sehr geehrter Herr Dekan Kirchberger,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Coburger Stadtrats und der Stadtverwaltung,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir gedenken heute der Opfer der beiden Weltkriege, der Millionen von Toten, die Hass, Gewalt und Größenwahn gefordert haben. Wir gedenken derer, die verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden – weil sie anders waren, anders dachten oder einem anderen Glauben angehörten. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, und der Menschen, die in Gefangenschaft, auf der Flucht oder durch Gewaltherrschaft ihr Leben verloren. Doch unsere Gedanken am Volkstrauertag gelten schon lange nicht mehr nur derer, die vor fast einem Jahrhundert in Kriegen ihr Leben verloren haben.
Denn Jahr für Jahr, Tag für Tag, steigt auch die Zahl der Opfer, die in aktuellen Kriegen, durch Terrorismus, durch politische Verfolgung und durch blinden Hass sterben. Leider ist dieses Thema aktueller denn je. Es ist näher denn je. Es ist größer denn je. Nicht umsonst hat auch Bundespräsident Walter Steinmeier das Totengedenken des Bundespräsidenten in diesem Jahr ergänzt, um Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Opfer von Gewalt werden. Und um unsere Polizistinnen und Polizisten, die in den vergangenen Jahren bei der Sicherung unserer Demokratie angegriffen und getötet wurden.
Wenn wir auf die Welt schauen, dann sehen wir: Autoritäre Strömungen gewinnen an Einfluss. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Demokratien geraten unter Druck – und selbst dort, wo Freiheit und Menschenrechte lange als gesichert galten, bröckeln sie. Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Krieg und Terror – in so vielen Ländern, dass sie teilweise schon keinen Platz mehr in unseren Nachrichten finden. Dazu weiteres Aufrüsten – zum Beispiel vor der Küste Südamerikas. In vielen anderen Teilen der Welt sterben Menschen, Tag für Tag, weil Dialog durch Waffen ersetzt wird, weil Machtstreben und Nationalismus stärker sind als Vernunft und Mitgefühl.
Über viele Jahrzehnte haben wir uns die Freiheit erkämpft, dass jeder sein darf wie er oder sie will. Wir haben uns Gleichberechtigung und Toleranz erkämpft. Und dadurch Vielfalt und Sicherheit geschaffen. Doch nun sehen wir, dass Worte des Hasses wieder lauter werden, wenn Minderheiten bedroht, Feindbilder geschaffen und einfache Antworten auf komplexe Fragen versprochen werden. Wie schnell aus Worten Taten werden, lehrt uns die Geschichte – und genau daran erinnert uns dieser Tag.
In Coburg haben wir in diesem Jahr ein wichtiges Zeichen gesetzt: Mit dem „Erinnerungsweg Jüdisches Leben“ haben wir ein neues Kapitel der lebendigen Erinnerungskultur aufgeschlagen. Dieser Weg führt uns zu den Orten jüdischen Lebens in unserer Stadt – zu den Menschen, die hier gelebt, gearbeitet, geliebt und geglaubt haben, bevor sie entrechtet, vertrieben und ermordet wurden. Er zeigt uns, dass Erinnerung nicht stillstehen darf. Sie muss sichtbar, erfahrbar und spürbar bleiben – besonders für die junge Generation. Denn Erinnerung ist kein Rückblick allein, sie ist Auftrag für die Zukunft.
Der Erinnerungsweg ist ein Symbol dafür, dass wir als Stadt bereit sind, uns unserer Geschichte zu stellen – auch den dunklen Kapiteln – und daraus Verantwortung abzuleiten für das Heute. Frieden – das zeigt uns die Geschichte – beginnt immer bei uns selbst. Er entsteht nicht in Konferenzen oder Verträgen allein, sondern in der Haltung jedes Einzelnen: in der Bereitschaft zuzuhören, im Respekt vor dem Anderen, in der Kraft des Dialogs.
Wer Frieden will, muss Empathie leben. Wer Demokratie erhalten will, darf bei Unrecht nicht schweigen. Wegsehen ist keine Option. Hinschauen, aufstehen, widersprechen – das ist unsere Pflicht, wenn Menschenwürde verletzt oder Freiheit bedroht wird. Heute trauern wir. Doch in der Trauer wollen wir auch Verantwortung tragen für die Zukunft. Wir tragen Verantwortung – für unsere Stadt, für unser Land, für die Welt, die wir den kommenden Generationen hinterlassen.
Lassen Sie uns diese Verantwortung ernst nehmen – indem wir uns erinnern, indem wir uns engagieren, und indem wir einstehen für eine offene, demokratische und friedliche Gesellschaft.
Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind, um die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Ich danke dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, allen Helferinnen und Helfern und der Gemeinde St. Moriz, dass wir auch in diesem Jahr in diesem würdigen Rahmen zusammenkommen dürfen – um zu trauern, zu erinnern und zu mahnen.
Vielen Dank.