An jenem Abend saßen im „Gasthaus Loreley“ in Coburg zwei Männer aus Neustadt bei Coburg zusammen: der Landtagspräsident Arnold und sein Freund, Pfarrer Berbig. Sie plauderten über dies und das, bis das Gespräch auf den schlechten baulichen Zustand der Veste kam – ein Thema, das Berbig sichtlich bedrückte. Zugleich stand ein anderes Problem im Raum: Welches Hochzeitsgeschenk sollte man dem jungen Herzog Carl Eduard und seiner Braut Viktoria Adelheid machen?
Da kam Arnold die zündende Idee: eine neue Lutherkapelle! Die alte Kapelle aus den 1840er Jahren, erbaut von Architekt Heideloff, war wegen eines mangelhaften Unterbaus stark einsturzgefährdet und für Besucher nicht mehr zugänglich. Arnold wusste, dass der Herzog großes Interesse an der Veste zeigte. Also versuchte man zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und die Renovierung der Kapelle mit einem Hochzeitsgeschenk zu verbinden. Arnolds Vorschlag fand sofort Zustimmung, auch bei seinen zehn Kollegen im Coburger Landtag.
Ein Komitee wurde gegründet, um Geld für den Wiederaufbau der Kapelle zu sammeln. Neben staatlichen Mitteln dachte man an eine Lotterie. Doch dafür brauchte es die Zustimmung aus Berlin. Doch der preußische Finanzminister winkte ab: Schon 42 Anträge für Kirchenbaulotterien lagen vor.
Dann kam der Zufall zu Hilfe. Bei Bauuntersuchungen entdeckte man in einem Raum der Veste bedenkliche Risse im Boden und in den Mauern. Schnell war klar: Nicht nur die Kapelle, die ganze Festung war gefährdet. Eine Lotterie zur Rettung der Veste hatte bessere Chancen – für Burgen lagen nämlich keine Anträge vor. Der Plan wurde genehmigt, und der Wiederaufbau der Lutherkapelle einfach in die Gesamtmaßnahmen eingebettet.
So konnte Arnold 1905 dem Herzogspaar in Glücksburg feierlich das Geschenk überreichen, welches aber noch gar nicht errichtet war. Die eigentlichen Arbeiten begannen erst 1909, nachdem eine gründliche Bestandsaufnahme gezeigt hatte, wie stark die Substanz gelitten hatte. Fehlende Stützen, entfernte Wände, ein Meter dicker Bauschutt zwischen den Decken – all das hatte die Stabilität gefährdet.
Der Wiederaufbau lag in den Händen von Professor Ebhardt, einem bekannten Burgenrestaurator. Er begann mit Sicherungsarbeiten und dem Entfernen späterer Bausünden.
Was in Coburg geschah, war kein isoliertes Ereignis. Um 1900 erfasste eine regelrechte „Burgenbegeisterung“ das ganze Land. Historische Bauten galten nicht nur als steinerne Zeugen der Vergangenheit, sondern auch als Symbole nationaler Identität. Kaiser Wilhelm II. selbst war ein glühender Befürworter solcher Projekte.
Der Denkmalschutz steckte damals noch in den Kinderschuhen. Aber erste Organisationen entstanden. Vereine wie der Deutsche Burgenverein sammelten Spenden, veröffentlichten Forschungsergebnisse und setzten sich für die Rettung bedrohter Bauwerke ein.
Auch die Finanzierung folgte einem Muster, das in Coburg erfolgreich erprobt wurde: Lotterien und Spendenaktionen, oft kombiniert mit staatlicher Unterstützung, bildeten den finanziellen Grundstock. Solche Projekte waren Prestigeangelegenheiten. Wer eine Burg rettete, zeigte nicht nur Heimatliebe, sondern auch politisches Gewicht.
Der Weg bis zur Fertigstellung war in Coburg lang. Krieg, Inflation und wirtschaftliche Not bremsten die Arbeiten immer wieder. Erst 1924 erstrahlte die Veste in neuem Glanz. Dies wurde mit einem großen Heimatfest gefeiert.
Und irgendwo im Trubel dieses Festes dürften zwei Männer aus Neustadt besonders still gelächelt haben: Landtagspräsident Arnold und Pfarrer Berbig – deren Abendgespräch fast zwei Jahrzehnte zuvor den entscheidenden Anstoß gegeben hatte, das bekannteste Wahrzeichen Coburgs vor dem Verfall zu bewahren.