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Biographie
Jugendjahre und Wachsender Antisemitismus
Der junge Arnold wuchs in einer für deutsche Juden schwierigen Zeit auf. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich das Leben für Juden in Deutschland und damit auch in Coburg schrittweise verändert. Viele Menschen machten sie für die Kriegsniederlage und das daraus resultierende wirtschaftliche und politische Chaos verantwortlich. Ab 1919 wurden zunehmend Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge verbreitet, die gezielt gegen die vermeintlichen Schuldigen dieser Misere hetzten. Zusammen mit dem frühen Aufstieg des Nationalsozialismus in der Vestestadt bildete dies die Basis für die späteren Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung. Mit der Machtübernahme der Coburger Nationalsozialisten im Jahr 1929 begann eine erste Welle der Gewalt: Die Zerstörung jüdischen Eigentums und körperliche Angriffe auf einzelne jüdische Bürger nahmen drastisch zu. Die jüdische Gemeinschaft versuchte sich in dieser Zeit mit Anzeigen und Gerichtsprozessen zu wehren, doch ihre Bemühungen blieben erfolglos. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung verließen viele Juden die Vestestadt, nachdem bis 1925 ein Anstieg der jüdischen Einwohnerzahlen zu verzeichnen war. Umfasste die jüdische Gemeinde 1925 noch 316 Personen, so sank deren Zahl bis 1933 auf 233 ab.[2]
Die Familie Katzenstein war in den 1920er und frühen 1930er Jahren zunehmendem Antisemitismus ausgesetzt, der sich sowohl in verbalen Anfeindungen als auch in gesellschaftlicher Diskriminierung äußerte. Ein Beispiel dafür ereignete sich im Juli 1931 in der Spitalgasse, als ein Jugendlicher einen anderen auf Arnolds Mutter aufmerksam machte und dabei abfällig rief: „Da ist ein Judenweib.“[3]
Arnold besuchte in dieser Zeit bis 1928 die Oberrealschule Ernestinum[4] und begann danach eine Lehre als Kaufmann in einem Nürnberger Unternehmen. Zu Beginn des Jahres 1933 kehrte er nach Coburg zurück und trat in das Modewarengeschäft seines Vaters in der Ketschengasse Nr. 31 ein.[5] Bereits 1924 feierte er seine Bar Mitzwa in der Coburger Synagoge, die ein bedeutendes religiöses und kulturelles Zentrum der jüdischen Gemeinde war.
NS-Zeit
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und der darauffolgenden Ausschaltung politischer Gegner durch die Nationalsozialisten verschärfte sich die Lage für die Familie Katzenstein dramatisch. Im März 1933 wurde Arnold Katzenstein von Mitgliedern der SA, die sich selbst als „Not-Polizisten“ bezeichneten und als Unterstützung für die reguläre Stadtpolizei eingesetzt worden waren, festgenommen und in sogenannte Schutzhaft genommen. Diese Schutzhaft diente nicht dem Schutz, sondern war ein willkürliches und repressives Instrument zur Verfolgung von Juden und politischen Gegnern, das durch die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 formal legitimiert wurde, jedoch keine rechtsstaatlichen Garantien bot. Sie bildete eine Grundlage für die systematische Verfolgung im nationalsozialistischen Terrorregime, die später in der Errichtung von Konzentrationslagern und der industrialisierten Vernichtung gipfelte.[6] Besonders gefährdet waren Juden, die öffentlich bekannt, wirtschaftlich erfolgreich oder gesellschaftlich engagiert waren. Zu dieser Gruppe gehörte Arnold Katzenstein.
Er wurde in die sogenannte "Prügelstube" gebracht, die sich im Gebäude der Stadtpolizei an der Rosengasse befand.[7] Diese Einrichtung diente dazu, politische Gegner und jüdische Bürger systematisch einzuschüchtern und zu misshandeln. Ein Zeuge berichtete Jahre später, dass Arnold Katzenstein mindestens einmal als Schutzhäftling geschlagen wurde.[8] Über weitere Misshandlungen geben die Akten keine Auskunft.
Kurz nach der Verhaftung von Arnold riefen die Nationalsozialisten auch zum Boykott des Modewarengeschäfts Katzenstein auf. [9] Dieser Boykott war Teil der reichsweiten Kampagne vom 1. April 1933, die von der NSDAP organisiert wurde. Bereits zuvor hatte es in Coburg aus der Bevölkerung heraus Boykottaktionen gegen jüdische Firmen, unter anderem gegen das Modewarengeschäft Katzenstein gegeben.[10] Unter diesen Umständen entschloss sich die Familie im April 1933 zur Schließung ihres Unternehmens und zur Flucht aus Coburg.[11] Die Katzensteins begaben sich nach Nürnberg, wo Arnolds Vater in der Essenweinstraße Nr. 8 eine Textilwaren- und Wäschehandlung eröffnete.[12]
Doch auch in Nürnberg konnte sich die Familie den zunehmend verschärften antijüdischen Gesetzen nicht entziehen. Mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 wurde Juden ihre gesellschaftlichen Rechte massiv eingeschränkt. Die Entrechtung und wirtschaftliche Ausgrenzung schritt weiter voran und kulminierte im November 1938 in der Reichspogromnacht, während der jüdische Geschäfte, Synagogen und Wohnungen zerstört wurden. Dieses Ereignis markierte eine weitere Eskalation der Verfolgung, die schließlich in der systematischen Ermordung der europäischen Juden im Holocaust mündete.
Flucht
Das Leben für Juden in Deutschland wurde dadurch zunehmend unerträglicher. Jüdische Bürger verloren zunehmend ihre wirtschaftliche Existenz, wurden sozial immer stärker ausgegrenzt und waren staatlicher Willkür ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund entschloss sich Arnold Katzenstein, Deutschland zu verlassen.
Sein Ziel waren die Vereinigten Staaten, wo bereits eine seiner Tanten lebte.[13] Die Tatsache, dass Verwandte in den USA waren, stellte für jüdische Familien, die vor den Nationalsozialisten flohen, eine wichtige, Unterstützung dar. Die US-Regierung hatte bereits in den 1920er Jahren strenge Einwanderungsquoten eingeführt, welche die Zuwanderung aus Deutschland erheblich begrenzten. Die US-Behörden vergaben Einwanderungsvisa nur unter strengen Auflagen. Antragsteller mussten nachweisen, dass sie finanziell abgesichert waren und dem Staat nicht zur Last fallen würden.
Ein entscheidendes Dokument in diesem Verfahren war das sogenannte „Affidavit of Support“, eine Bürgschaftserklärung von Verwandten oder anderen Gewährsleuten in den USA. Diese mussten garantieren, für die finanziellen Bedürfnisse der Einwanderer aufzukommen. Doch selbst mit einem Affidavit war die Einreise nicht gesichert: Die Vergabe von Visa unterlag bürokratischen Hürden, und viele Antragsteller scheiterten trotz familiärer Unterstützung an den restriktiven Quotenregelungen. Zahlreiche jüdische Flüchtlinge fanden keinen Platz im Einwanderungssystem der USA und mussten alternative Zufluchtsorte suchen. Arnold Katzenstein hatte Glück: Seine familiären Kontakte ermöglichten es ihm, ein Affidavit zu erhalten und die erforderlichen Dokumente zu beschaffen.[14]
Im Dezember 1936 hatte er alle notwendigen Papiere zusammen. Er begab sich nach Le Havre in Frankreich, wo er das Passagierschiff Normandie bestieg. Am 24. Dezember 1936 kam er mit 50 Dollar in der Tasche in New York an. Dort wollte er bleiben.[15] Nachdem sein Vater im August 1937 im Alter von 53 Jahren gestorben war[16], entschloss sich auch Arnolds Mutter, in die Vereinigten Staaten zu gehen. Trotz der weiterhin restriktiven US-Einwanderungspolitik gelang es ihr, im Mai 1938 mit einem Passagierschiff nach New York zu gelangen.[17]
Leben in den Vereinigten Staaten
In New York heiratete Arnold Katzenstein am 15. Februar 1940 die 19-jährige Irmgard Hahn.[18] Sie war ebenfalls jüdischer Herkunft und wurde am 2. Dezember 1920 in Düren, Westfalen, geboren. Wie viele deutsche Juden in dieser Zeit sah sie sich gezwungen, aus dem nationalsozialistischen Deutschland zu fliehen. Aufgrund der sich verschärfenden Repressionen gegen jüdische Bürger emigrierte sie im Mai 1938 mit einem Schiff in die Vereinigten Staaten.[19] Das Ehepaar bekam zwei Kinder, die 1942[20] und 1946[21] geboren wurden.
Zur gleichen Zeit arbeitete Arnold Katzenstein als Servicemitarbeiter und Maschinenbediener für ein großes Unternehmen.[22] Die Familie lebte anfangs in bescheidenen Verhältnissen in einer New Yorker Wohnung, in der auch Arnolds Mutter sowie ein Untermieter lebten.[23] Dies spiegelt die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler jüdischer Migranten wider, die oft mit existenziellen Herausforderungen in der neuen Heimat konfrontiert waren. Die sozialen und ökonomischen Barrieren machten es für viele schwer, an ihren früheren beruflichen Status anzuknüpfen.
Später konnte sich die Familie ein eigenes Haus in Queens, New York, leisten, was auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation hindeutet.[24] Dies fiel mit dem beruflichen Aufstieg Arnold Katzensteins zusammen, der später Mitinhaber einer Zigarettenfabrik wurde.[25] Über die genauen Umstände seines geschäftlichen Erfolgs sind jedoch keine detaillierten Informationen überliefert. Im Jahr 1944 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. [26]
Arnold Katzenstein starb am 13. August 1992 in Las Vegas im Alter von 80 Jahren. [27] Er wurde auf dem Palm Memorial Park in Las Vegas beigesetzt.[28]
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 06.09.1911, S. 362.
[2] Zusammenfassung bei Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001.
[3] Fromm, Coburger Juden, S. 49.
[4] Staatsarchiv Coburg: Schuljahresbericht Ernestinum 12. Bericht über das Schuljahr 1927/1928, S. 18.
[5] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Katzenstein, Arnold; Siehe auch: Adreß-Buch von Coburg (Stadt und Land), Ausgabe: Ende Januar 1931, Coburg 1931, S. 63.
[6] Die Verordnung des Reichspräsidenten zum „Schutze von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 setzte die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft und war Grundlage für die totalitäre Gesetzgebung des Nationalsozialistischen Deutschlands. Siehe hierzu und den Text bei: Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Karlsruhe 1981, S.3f.
[7] Fromm, Coburger Juden, S. 66.
[8] Ebd.
[9] "Coburger National-Zeitung" vom 31.03.1933.
[10] Eva Karl, „Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 573.
[11] Karl, "Coburg voran!", S. 776.
[12] Einwohnerbuch Nürnberg 1935, Nürnberg 1935, S. 303.
[13] The National Archives in Washington, DC, Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, 1897-1957; Mikrofilm-Seriennummer oder NAID: T715; Titel der Aufzeichnungsgruppe (RG, Record Group): Records of the Immigration and Naturalization Service, 1787-2004; RG: 85.
[14] Ebd.
[15] Ebd.
[16] The National Archives at Philadelphia, PA; NAI-Titel: Declarations of Intention For Citizenship, 1/19/1842 - 10/29/1959; NAI-Nummer: 4713410; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Nummer des Aufzeichnungssatzes: 21.
[17] Ebd.
[18] New York City Department of Records & Information Services; New York City Marriage Licenses; Gemeinde: Manhattan; Jahr: 1940
[19] The National Archives at Philadelphia; NAI-Titel: Declarations of Intention For Citizenship, 1/19/1842 - 10/29/1959; NAI-Nummer: 4713410; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Nummer des Aufzeichnungssatzes: 21.
[20] Ancestry.com. USA, Sozialversicherungsindex, 1936-2007 [Datenbank online]. Provo, UT, USA: Ancestry.com Operations, Inc., 2015.
[21] Ancestry.com. New York, New York, USA, Geburtenindex, 1910-1965 [Datenbank online]. Lehi, UT, USA: Ancestry.com Operations, Inc., 2017.
[22] United States of America, Bureau of the Census. Sixteenth Census of the United States, 1940. Washington, D.C.: National Archives and Records Administration, 1940. T627, 4,643 rolls; New York City Department of Records & Information Services; New York City Marriage Licenses; Gemeinde: Manhattan; Jahr: 1940.
[23] United States of America, Bureau of the Census. Sixteenth Census of the United States, 1940. Washington, D.C.: National Archives and Records Administration, 1940. T627, 4,643 rolls.
[24] National Archives at Washington, D.C., Seventeenth Census of the United States, 1950, Gebiet der Volkszählung: New York, Queens, New York; Rolle: 4273; S. 18; Zählungsdistrikt: 41-1101.
[25] Ebd.
[26] National Archives and Records Administration Washington, D.C., Index to Naturalization Petitions of the United States District Court for the Eastern District of New York, 1865-1957; Seriennummer des Mikrofilms: M1164; Mikrofilmrolle: 76.
[27] Nevada State Health Division, Office of Vital Statistics. State Death Index. Nevada Department of Health and Human Services, Carson City, Nevada.
[28] Arnold Katzenstein, in: Find a grave (https://www.findagrave.com/memorial/15648482/arnold-s.-katzenstein (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 31.01.2025.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Arnold (Arno) Katzenstein hat Astrid Wolf übernommen.
