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Biographie
Clara Fraenkel, geborene Stern kam am 10. Dezember 1864 in Gleicherwiesen im Herzogtum Meiningen zur Welt.[1] Ihr Vater Marcus Stern wurde am 17. September 1826 in Gleicherwiesen geboren, ihre Mutter Rosette Stern, geb. Gutmann, kam am 21. Mai 1832 ebenfalls in Gleicherwiesen zur Welt. Sie hatte acht Geschwister:
- Selig genannt Siegfried Stern (Öffnet in einem neuen Tab) (geboren am 28. Juni 1854 in Gleicherwiesen)
- Minna Stern (geboren am 15. November 1856 in Gleicherwiesen)
- Jacob Stern (geboren am 20. September 1859 in Gleicherwiesen)
- Trina Stern (geboren am 11. Januar 1863 in Gleicherwiesen)
- Malwine Stern (geboren 1867 in Gleicherwiesen)
- Hermann Stern (geboren am 19. Juni 1871 in Gleicherwiesen)
- Arthur Stern (geboren am 18. September 1873 in Coburg)
- Gustav Stern (geboren am 3. Oktober 1876 in Coburg)
Leben in Gleicherwiesen
Die jüdische Gemeinde in Gleicherwiesen wurde im Jahr 1681 gegründet. Etwa 100 Jahre später fand die Einweihung der ersten Synagoge statt, die aufgrund des Wachstums der jüdischen Bevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erweitert werden musste. Schließlich wurde im Jahr 1865 ein Neubau errichtet, der den religiösen Bedürfnissen der wachsenden Gemeinde besser entsprach.[2]
Neben der Synagoge entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts weitere Einrichtungen, die das religiöse und soziale Leben der jüdischen Gemeinde prägten: Eine Mikwe (rituelles Tauchbad) wurde 1839 eingerichtet, ein jüdischer Friedhof in den Jahren 1846/47 angelegt. Ebenfalls im 19. Jahrhundert entstanden eine jüdische Elementarschule sowie ein koscheres Backhaus. Diese Institutionen dokumentieren die fest etablierte Präsenz jüdischen Lebens im Ort.[3]
Im Jahr 1853 lebten 188 jüdische Personen in Gleicherwiesen. Bis 1875 stieg ihre Zahl auf 233, was einem Anteil von über 42 % an der Gesamtbevölkerung entsprach.[4] Damit stellte die jüdische Gemeinde eine bedeutende Bevölkerungsgruppe im Ort dar.
Gleicherwiesen war im 19. Jahrhundert ein Marktort mit vier regelmäßigen Jahr- und Viehmärkten. Diese Märkte zogen Käufer aus der Umgebung an und boten auch Händlern gute Absatzmöglichkeiten. Unter ihnen befanden sich zahlreiche jüdische Viehhändler, die sich im Ort niederließen. Die wirtschaftliche Tätigkeit der jüdischen Bevölkerung war eng mit dem regionalen Viehhandel verbunden, was in dieser Zeit typisch für viele Landgemeinden in Franken und Thüringen war.[5]
Ein Beispiel für die Einbindung jüdischer Familien in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben bietet die Viehhändlerfamilie Stern, die hier ihren Geschäften nachging und in der Dorfgemeinschaft völlig integriert war. In diesem Umfang wuchs auch die junge Clara auf. Es ist anzunehmen, dass er die jüdische Elementarschule im Ort besuchte. Nachdem ihre Familie 1873 nach Coburg gezogen war und ihr Vater dort eine Viehhandlung eröffnet hatte, besuchte sie wohl die hiesige Mädchenschule (heutige Lutherschule).[6]
Heirat mit Abraham Joseph Fraenkel
Clara Stern heiratete am 30. Juli 1896 in Coburg den Kaufmann Abraham Josef Fraenkel, welcher aus Chemnitz stammte der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörte.[7] Er wurde am 3. Februar 1854 im damaligen Hombin geboren. Über seine Eltern oder nähere Herkunft liegen bislang keine gesicherten Informationen vor.
Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Dora, geboren am 5. August 1897, und Harry, geboren am 1. November 1898.[8] Nach der Eheschließung zog Clara Fraenkel zu ihrem Ehemann nach Chemnitz, wo dieser ein Geschäft für Manufakturwaren und Konfektionsartikel führte.[9] Dabei handelte es sich vermutlich um einen mittelständischen Einzelhandelsbetrieb im Bereich der Textil- und Bekleidungsbranche, wie sie für jüdische Kaufleute in städtischen Räumen des Kaiserreichs häufig typisch waren.
Über Clara Fraenkels Rolle in Chemnitz ist nur wenig bekannt. Es ist anzunehmen, dass sie sich zunächst – entsprechend der bürgerlichen Geschlechterrollen ihrer Zeit – vor allem der Haushaltsführung und Kindererziehung widmete.
Die Ehe endete früh: Abraham Josef Fraenkel starb am 26. November 1898 im Alter von 44 Jahren, wenige Wochen nach der Geburt des Sohnes Harry.[10] Clara Fraenkel kehrte daraufhin mit ihren beiden Kindern in ihre Heimatstadt Coburg zurück. Gründe für die Rückkehr sind nicht dokumentiert. Sie ist jedoch im historischen Kontext nachvollziehbar: Verwitwete Frauen ohne eigenes Einkommen waren häufig auf familiäre Netzwerke angewiesen. Vermutlich fand Clara Unterstützung im elterlichen oder erweiterten Umfeld.
Leben in Coburg
In Coburg bezog Clara Fraenkel zunächst eine Wohnung in der Bahnhofstraße 9. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, war sie als Köchin tätig.[11]
Im Jahr 1911, nach dem Tod ihrer Mutter Rosette Stern, zog Clara Fraenkel in das elterliche Wohnhaus in der Mohrenstraße 10, wo sie ihren Vater Marcus Stern wohl im Haushalt unterstützte. Nach dessen Tod im Jahr 1915 blieb sie dort wohnen.[12] Ihr Bruder Selig, genannt Siegfried, hatte das Haus geerbt. In den nächsten Jahren übte Clara keinen Beruf mehr aus. Man kann davon ausgehen, dass sie durch ihre Familie finanziell abgesichert wurde – so wie es damals bei Mittelstandsfamilien oft üblich war.[13] Daneben nahm sie als passives Mitglied des Coburger Sängerkranzes am Vereinsleben der Stadt teil.[14]I
Die familiäre Situation änderte sich ab den 1920er Jahren: Ihre Tochter Dora heiratete im Jahr 1923 den Kaufmann Egon Krauß aus Wien und verließ daraufhin den mütterlichen Haushalt.[15] Ihr Sohn Harry war aufgrund seiner Tätigkeit als Handelsvertreter in Deutschland häufig beruflich unterwegs. In den frühen 1920er Jahren hielt er sich zeitweise in Berlin auf. Anfang Januar 1933 verließ er Coburg dauerhaft und zog nach Hamburg. [16] Die genauen Hintergründe dieses Ortswechsels sind nicht eindeutig belegt; sie dürften jedoch mit beruflichen Entwicklungen im Zusammenhang gestanden haben.
Ab 1933 lebte Clara Fraenkel gemeinsam mit ihrem Bruder Selig Stern in der Mohrenstraße 10. Dieser hatte bereits 1909 die Viehhandlung seines Vaters übernommen und führte es auch nach der Machtübernahme der NSDAP weiter.[17]
Wachsender Antisemitismus
Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich die gesellschaftliche Lage für die jüdische Bevölkerung in Coburg deutlich. In der instabilen Nachkriegszeit nahmen antisemitische Stimmungen zu. Jüdische Mitbürger wurden – durch Presse, Flugblätter und politische Propaganda befeuert – pauschal für Niederlage und Krisen verantwortlich gemacht. Ab 1919 trugen völkisch-nationalistische Gruppen zur weiteren Verbreitung dieser Ressentiments bei. In Coburg fand diese Stimmung früh Anschluss an die politische Radikalisierung, in deren Folge die NSDAP bereits in den 1920er Jahren an Einfluss gewann.
Nach dem kommunalpolitischen Wahlsieg der NSDAP 1929 kam es verstärkt zu Übergriffen auf jüdische Geschäftsleute, zu Sachbeschädigungen und physischen Angriffen. Strafrechtliche Konsequenzen blieben meist aus. Rechtliche Gegenwehr durch Anzeigen und Klagen hatte angesichts der Passivität der Behörden kaum Erfolg. Viele jüdische Familien verließen Coburg bereits vor 1933: Die Mitgliederzahl der Gemeinde sank von 316 (1925) auf 233 (1933) – Ausdruck zunehmender Ausgrenzung und Verunsicherung.[18] Auf die Familie Stern hatte diese Entwicklung offenbar aber keine konkreten Auswirkungen Über antisemitische Übergriffe auf Clara Fraenkel ist in dieser Zeit nichts bekannt.
NS-Zeit
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der Viehhandlung Selig Stern erheblich. Bereits im Frühjahr 1933 wurde die Firma Ziel von reichsweiter Boykottmaßnahmen der NSDAP.[19] Infolge dieser politischen Kampagne verlor Stern einen erheblichen Teil seiner Kundschaft, was ihn in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Um den Fortbestand des Unternehmens und die Deckung laufender Verpflichtungen zu sichern, nahm er eine Hypothek über 10.000 Reichsmark mit einem Zinssatz von 10 % auf sein Wohn- und Geschäftshaus in der Mohrenstraße auf.[20] Zusätzlich gewährte ihm Clara ein zinsloses Darlehen in Höhe von 5.445 Reichsmark.[21]
1935 intensivierte die Stadt Coburg ihre Bemühungen, den jüdischen Viehhandel vollständig zu unterbinden. Im Herbst entzog die Stadtverwaltung mehreren jüdischen Viehhändlern, darunter auch Claras Bruder, die Gewerbeerlaubnis. Diese Maßnahme war formal juristisch umstritten und stieß auf Widerspruch beim Regierungspräsidium in Bayreuth, das für den Bezirk Oberfranken zuständig war. Infolgedessen wurde die vollständige Maßnahme teilweise zurückgenommen: Drei jüdische Viehhändler erhielten ihre Konzession unter strengen Auflagen zurück, darunter regelmäßige Kontrolle und die Androhung sofortiger Suspendierung bei geringfügigen Verstößen.[22]
Selig Stern jedoch erhielt seine Konzession nicht zurück. Ihm wurde angedroht, im Falle einer Fortsetzung seiner Tätigkeit als Viehhändler, ihn in Haft zu nehmen.[23] Trotz wiederholter Eingaben bei verschiedenen Verwaltungsstellen blieb der Versuch Sterns und weiterer betroffener jüdischer Viehhändler, auf dem Beschwerdeweg die Wiederzulassung zu erreichen, erfolglos. Letztlich wurde durch eine Vielzahl bürokratischer Maßnahmen die Fortführung eines regulären Handelsbetriebs unmöglich gemacht.[24] Im Februar 1938 gab Selig Stern seine gewerbliche Tätigkeit endgültig auf.[25] Die finanziellen Probleme der Geschwister Stern verschlechterten sich dadurch zusehends.
In dieser Zeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand Clara Fraenkels zunehmend. Sie erkrankte an einer Atherosklerose - eine chronische Gefäßerkrankung, die zu Durchblutungsstörungen führen kann.[26] Ob damit auch neurologische oder kognitive Einschränkungen verbunden waren, lässt sich auf Basis der vorhandenen Quellenlage nicht mit Sicherheit feststellen.
Um das ältere Geschwisterpaar kümmerte sich um diese Zeit eine Hausangestellte. Mit der Einführung des „Gesetz[es] zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, im Rahmen der Nürnberger Rassegesetze, wurde die Beschäftigung weiblicher „arischer“ Hausangestellter unter 35 Jahren in jüdischen Haushalten untersagt.[27] Clara Fraenkel und Selig Stern waren davon direkt betroffen: Ihre Hausangestellte war unter 35 Jahre alt und musste zum 31. Dezember 1935 entlassen werden. Ein von Stern gestelltes Ausnahmegesuch wurde von den Coburger Behörden abgelehnt.[28]
Tod
Aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation wurde Clara Fraenkel schließlich in eine stationäre Pflegeeinrichtung eingewiesen werden. Sie kam in die Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg bei Ebensfeld, eine zu dieser Zeit übliche Unterbringung für chronisch kranke oder pflegebedürftige Personen. Die Einweisung erfolgte zu einem bisher nicht exakt bekannten Zeitpunkt vor Mai 1938. Hinweise auf Zwangseinweisung oder eine politisch motivierte Unterbringung liegen derzeit nicht vor.
Clara Fraenkel verstarb am 16. Mai 1938 im Alter von 73 Jahren in Kutzenberg. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Coburg beigesetzt.[29] Ihren Kindern und ihrem Bruder gelang die Flucht in die Vereinigten Staaten.
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fraenkel, Clara.
[2] Gleicherwiesen (Thüringen), in: https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/e-g/732-gleicherwiesen-thueringen (Öffnet in einem neuen Tab) (aufgerufen 19.04.2024); Gleicherwiesen mit Simmershausen, in: https://www.alemannia-judaica.de/gleicherwiesen_synagoge.htm (Öffnet in einem neuen Tab) (aufgerufen 19.04.2024).
[3] Ebd.
[4] Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR. Band II, Dresden 1991, S. 942 f.
[5] Gleicherwiesen (Thüringen), in: https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/e-g/732-gleicherwiesen-thueringen (Öffnet in einem neuen Tab) (aufgerufen 19.04.2024); Gleicherwiesen mit Simmershausen, in: https://www.alemannia-judaica.de/gleicherwiesen_synagoge.htm (Öffnet in einem neuen Tab) (aufgerufen 19.04.2024).
[6] Stadtarchiv Coburg: A 3392, Zuzug Marcus Sterns nach Coburg, 1873; Siehe auch: Christian Boseckert, Die wirtschaftliche Bedeutung der Juden, in: Gerhard Amend / Christian Boseckert / Gert Melville (Hrsg.), Im Fokus: Juden in Coburg (Schriftenreihe der Historischen Gesellschaft Coburg 31), Coburg 2021, S. 164.
[7] "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" von 08.08.1896.
[8] Mitteilung des Standesamtes Chemnitz vom 25.05.2024.
[9] Adressbuch der Fabrik- und Handelsstadt Chemnitz, Ausgabe 1897, Chemnitz 1897, S. 218.
[10] Epidat-epigraphische Datenbank (http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?id=che-541&anzeige=mix&inv=0541 (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 26.04.2024.
[11] Adressbuch der Stadt Coburg, Ausgabe 1901, Coburg 1901, S. 19.
[12] "Coburger Zeitung" vom 28.10.1915.
[13] Einwohnerbuch der Stadt Coburg mit Anhang: Einwohnerbuch des Landbezirks. Ausgabe: Januar 1927, Coburg 1927, S. 230.
[14] Sängerkranz Coburg (Hrsg.), Bericht über das 73. bis 76. Vereinsjahr vom 1. Oktober 1915 bis 30. September 1919. Erstattet vom Vorstand, Coburg 1920, S. 22.
[15] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fränkel, Dora.
[16] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fränkel, Harry.
[17] "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 04.08.1909, S. 319.
[18] Eva Karl, Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 39-172.
[19] "Coburger National-Zeitung" vom 31.03.1933.
[20] Staatsarchiv Coburg, Grundbuch Coburg, Bd. 127, S. 74.
[21] Staatsarchiv Coburg, Amtsgericht Coburg 38176, Nachlassakte Clara Fraenkel.
[22] Stadtarchiv Coburg: A 10396 fol.31f./35; Siehe auch: Karl: „Coburg voran!“, S.586f.
[23] Stadtarchiv Coburg, A 10396, unfol. Aktennotiz des Polizeiamtes vom 22. Oktober 1935.
[24] Karl, Coburg voran!, S. 586f.
[25] Karl, Coburg voran!, S. 777.
[26] Freundl. Mitteilung der Friedhofsverwaltung Coburg.
[27] RGBl, 1935 I, S. 1146f.
[28] Karl, Coburg voran!, S. 483.
[29] Staatsarchiv Coburg: AG Coburg 38176, Nachlassakte Clara Fraenkel.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Clara Fraenkel hat Moana Bolfeeta übernommen.
