Inhalt anspringen

Stadt Coburg

Stolperstein

Siegbert Kaufmann

Inhalt

  1. Biographie
  2. Jugend und Leben in Coburg
  3. Situation nach 1933
  4. Flucht
  5. Leben in den USA
  6. Nach 1945
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Siegbert Kaufmann (ki-bearbeitet)

Siegbert Kaufmann kam am 22. Juli 1923 in Coburg zur Welt zur Welt.[1] Sein Vater, der Papiergroßhändler Adolf Kaufmann, wurde am 19. März 1880 ebenfalls in Coburg, seine Mutter Reinhilde Kaufmann, geborene Friedmann, am 4. Februar 1894 in Ritschenhausen (Herzogtum Meiningen) geboren. Siegbert hatte einen Bruder

  • Stephan Kaufmann (geboren am 12. Juli 1926 in Coburg)

Jugend und Leben in Coburg

Siegbert Kaufmann wuchs in einer Zeit auf, die für Juden in Deutschland zunehmend schwieriger wurde. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die gesellschaftliche Lage vielerorts: In Teilen der Bevölkerung breitete sich die sogenannte „Dolchstoßlegende“ aus, die Juden und andere Gruppen fälschlicherweise für die Kriegsniederlage und die politischen sowie wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik verantwortlich machte. Antisemitische Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge nahmen ab 1919 deutlich zu.

Coburg spielte hierbei eine besondere Rolle, da die Nationalsozialisten dort schon früh überdurchschnittlich großen politischen Einfluss gewannen. So stellte die Stadt 1931 mit Franz Schwede den ersten NSDAP-Bürgermeister Deutschlands. Bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme im Reich kam es in Coburg zu antisemitischen Übergriffen, wenngleich systematische Gewaltwellen erst nach 1933 reichsweit einsetzten. Die Zahl der in Coburg lebenden Juden ging zwischen 1925 (316 Personen) und 1933 (233 Personen) zurück.[2] Dabei sind mehrere Ursachen zu berücksichtigen: neben antisemitischen Anfeindungen auch wirtschaftliche Faktoren, Abwanderung und demografische Entwicklungen.

Für jüdische Schülerinnen und Schüler war die Situation bis 1933 nicht einheitlich. Während manche kaum Diskriminierung erfuhren, berichten andere von Isolation und Anfeindungen im schulischen Alltag. Diese Unterschiede sind auch in der Forschung (z. B. Hubert Fromm) anhand einzelner Biografien dokumentiert.[3]

Siegbert Kaufmann selbst war bis 1933 nur in begrenztem Maße betroffen. Er besuchte ab 1929 die Rückertschule und wechselte später auf die Oberrealschule Ernestinum.[4] Nach eigenen Erinnerungen hörte er nach Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 gelegentlich antisemitische Beschimpfungen. Insgesamt schilderte er sein Schulklima jedoch als vergleichsweise erträglich: Einige Lehrer behandelten ihn korrekt, andere zeigten Distanz, ohne ihn offen anzugreifen. Kaufmann berichtete auch von Mitschülern, die ihn unterstützten. Beschimpfungen auf dem Schulweg kamen zwar vor, aber er selbst erlebte nach eigener Aussage keine körperliche Gewalt.[5]

Die Oberrealschule Ernestinum

Situation nach 1933

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme änderte sich die Lage für jüdische Schüler insgesamt jedoch deutlich. Antisemitische Inhalte fanden zunehmend Eingang in den Unterricht, Lehrkräfte und Schüler grenzten jüdische Kinder häufiger aus, und der gesellschaftliche Druck auf nichtjüdische Mitschüler, Kontakte zu vermeiden, wuchs. Auch der Ausschluss von außerschulischen Aktivitäten unter der Kontrolle nationalsozialistischer Organisationen nahm zu.

Mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 erhielt diese Diskriminierung eine verbindliche rechtliche Grundlage. Sie erklärten Juden zu „Staatsangehörigen minderen Rechts“ und verschärften ihre gesellschaftliche Ausgrenzung. Der Ausschluss jüdischer Schüler aus öffentlichen Schulen erfolgte allerdings nicht überall gleichzeitig und nicht sofort: Reichsweit setzte er erst ab 1938/39 vollständig durch. In Coburg wurde Kaufmanns Schulbesuch am Ernestinum jedoch bereits zuvor beendet. Seine Eltern entschieden sich, ihn Anfang 1936 auf die private jüdische Schule des Predigers Hermann Hirsch in der Hohen Straße wechseln zu lassen. Dort erhielt er auch im selben Jahr seine Bar Mitzwa.[6]

Flucht

Meldekarte von Siegbert Kaufmann

In Hirschs Privatschule blieb Siegbert Kaufmann nicht lange. Seine Eltern entschieden 1936, ihn zu Verwandten in die Vereinigten Staaten zu schicken.[7]

Für jüdische Familien stellten bereits bestehende familiäre Kontakte ins Ausland einen wichtigen Vorteil dar, wenn sie Deutschland verlassen wollten. Die Auswanderung in die USA war seit dem Immigration Act von 1924 jedoch durch ein strenges Quotensystem beschränkt: Für jedes Herkunftsland war eine bestimmte Zahl von Einwanderungsvisa pro Jahr festgelegt. Diese Quote konnte nicht durch persönliche Kontakte überschritten werden. Verwandte in den USA konnten jedoch ein sogenanntes Affidavit of Support ausstellen, in dem sie gegenüber den US-Behörden garantierten, die ankommenden Familienangehörigen finanziell zu unterstützen. Ein solches Dokument war häufig Voraussetzung dafür, dass ein Visum überhaupt bewilligt wurde. Ohne ein Affidavit – ob von Verwandten oder von Hilfsorganisationen – war eine legale Einwanderung nur schwer möglich.

Im Fall Siegbert Kaufmann erleichterten verwandtschaftliche Beziehungen in den Vereinigten Staaten die Ausreise. Am 18. Juni 1936 verließ er Deutschland von Hamburg aus per Schiff und traf am 26. Juni in New York ein.[8] Dort wurde er von einer Kusine seines Vaters aufgenommen, die auf Long Island lebte. Aus seinen späteren Erinnerungen geht hervor, dass er sich in der neuen Umgebung vergleichsweise schnell eingewöhnte.[9]

Leben in den USA

Nach seiner Ankunft lebte Siegbert Kaufmann zunächst bei einer Kusine seines Vaters auf Long Island. Dort besuchte er die Schule, erlernte relativ rasch die englische Sprache und engagierte sich auch in der Schülerzeitung. Um zum Lebensunterhalt beizutragen, verteilte er Zeitungen – eine Tätigkeit, die viele Jugendliche in den USA übernahmen. Nach seinen späteren Erinnerungen fiel ihm die Eingewöhnung in die neue Umgebung vergleichsweise leicht.[10]

Im Juni 1938 gelang auch seinen Eltern Adolf und Hilde sowie seinem Bruder die Emigration in die Vereinigten Staaten.[11] Dies war keine Selbstverständlichkeit, da die US-Quotenregelungen und die hohen bürokratischen Hürden eine legale Einreise für viele deutsche Juden erheblich erschwerten. Die Familie ließ sich zunächst in New Britain, Connecticut, nieder.[12] Für den Vater, der in Deutschland ein eigenes Geschäft geführt hatte, bedeutete der Neuanfang eine deutliche soziale Abwärtsmobilität: Wegen mangelnder Englischkenntnisse konnte er nur Hilfsarbeiten, etwa als Bürogehilfe oder Nachtwächter, übernehmen. Auch die Mutter musste einer Erwerbstätigkeit nachgehen, um das Familieneinkommen zu sichern.[13] Wie viele andere Emigrantenfamilien benötigte es mehrere Jahre, bis die Kaufmanns wirtschaftlich Fuß fassen konnten.

Siegbert besuchte in dieser Zeit die örtliche High School, verließ diese jedoch nach einem Jahr. Im Juni 1942 meldete er sich freiwillig zur US-Armee.[14] Ein Jahr später wurde er offiziell eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt war er noch kein amerikanischer Staatsbürger, was aber kein Hindernis für den Militärdienst darstellte.[15] Kaufmann wurde in der Pazifikregion eingesetzt. Seine Einheit nahm an Kämpfen in Japan und auf Okinawa teil, wo im Frühjahr 1945 eine der verlustreichsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs stattfand. Nach Kriegsende war er zeitweise in den besetzten Gebieten stationiert. Im Juli 1946 kehrte er unversehrt in die Vereinigten Staaten zurück und stieß wieder zu seiner Familie.[16]

Nach 1945

Nach seiner Rückkehr aus dem Militärdienst lebte Siegbert Kaufmann mit seinen Eltern in New Britain, Connecticut. Dort arbeitete er zeitweise als Journalist für eine Lokalzeitung.[17] Parallel dazu setzte er sein Studium fort und besuchte auch später berufsbegleitend Abendkurse.[18]

Am 17. Februar 1951 heiratete er in New Britain Mimi Unsoon Park, die aus Korea stammte.[19] Aus der Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor. Kaufmann machte im Laufe der folgenden Jahrzehnte beruflich Karriere im öffentlichen Dienst: Er war rund zwanzig Jahre in der Justizverwaltung des Bundesstaates Connecticut tätig. Nach seinen eigenen Angaben, überliefert durch ein Interview mit Hubert Fromm im Jahr 1988, bekleidete er dort eine verantwortungsvolle Position. Darüber hinaus hielt er mehrere Jahre lang Vorlesungen als Dozent an einer Universität in Connecticut.[20] Genaue Angaben zu Fachrichtung, Umfang und institutioneller Zugehörigkeit sind bisher nicht belegt.

1988 besuchte Kaufmann gemeinsam mit seiner Frau seine Geburtsstadt Coburg. Anlässlich dieses Aufenthalts führte er ein längeres Gespräch mit dem Lokalhistoriker Hubert Fromm. Dieses Interview bildet eine wichtige Quelle für die biografische Rekonstruktion seines Lebenswegs, wobei berücksichtigt werden muss, dass es sich um subjektive Erinnerungen handelt, die mehrere Jahrzehnte nach den Ereignissen entstanden sind.[21]

Siegbert Kaufmann starb am 30. November 2003 im Alter von 80 Jahren in Hartford, Connecticut.[22] Er wurde auf dem Veteranenfriedhof in South Glastonbury beigesetzt.[23]

2014 wurde auf Initiative des Gymnasiums Ernestinums, dem Rechtsnachfolger der Oberrealschule, ein Stolperstein zur Erinnerung an den früheren Schüler Siegbert Kaufmann verlegt.[24] Dieser befindet sich vor dem alten Schulhaus an der Unteren Realschulstraße. 

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnermeldekartei, Kaufmann, Siegbert.

[2]    Eva Karl, Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 39-172.

[3]    Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 247 (Beispiel: Esther Hirschfeld (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 252f. (Beispiel: Hildegard Reinstein (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 266f. (Beispiel: Max G. Löwenherz); S. 287 (Beispiel: Hans Morgenthau (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 292 (Beispiel: Gertrude Mayer); S. 307 (Beispiel: Siegbert Kaufmann). 

[4]    Fromm, Coburger Juden, S. 307.

[5]    Siegbert Kaufmann an Autor Hubert Fromm im September 1988 und 1989, abgedruckt bei Fromm, S. 308. 

[6]    Fromm, Coburger Juden, S. 308.

[7]    Fromm, Coburger Juden, S. 307. 

[8]    The National Archives in Washington, Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957; Mikrofilm-Seriennummer oder NAID: T715; Titel der Aufzeichnungsgruppe (RG, Record Group): Records of the Immigration and Naturalization Service, 1787-2004; RG: 85. 

[9]    Siegbert Kaufmann an Autor Hubert Fromm im September 1988 und 1989, abgedruckt bei Fromm, S. 308.

[10]   Ebd.

[11]   National Archives at Boston, Archivtitel: Petitions and Records of Naturalization, 10/24/1939-6/7/1973; NAI-Nummer: 4514229; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of District Courts of the United States, 1685-2009; Nummer des Aufzeichnungssatzes: Rg 21. 

[12]   Ebd.

[13]   Siegbert Kaufmann an Autor Hubert Fromm im September 1988 und 1989, abgedruckt bei Fromm, S. 308; Siehe auch: United States of America, Bureau of the Census. Sixteenth Census of the United States, 1940. Washington, D.C.: National Archives and Records Administration, 1940. T627, 4,643 rolls.

[14]   National Archives at St. Louis,  Wwii Draft Registration Cards For Connecticut, 10/16/1940-03/31/1947; Aufzeichnungsgruppe: Records of the Selective Service System, 147; Archiv: 211; Siehe auch: Siegbert Kaufmann an Autor Hubert Fromm im September 1988 und 1989, abgedruckt bei Fromm, S. 308.

[15]   National Archives at College Park, Electronic Army Serial Number Merged File, 1938-1946; NAID: 1263923; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of the National Archives and Records Administration, 1789-ca. 2007; Aufzeichnungsgruppe: 64; Kästchennummer: 04333; Rolle: 155. Die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt Kaufmann erst im Dezember 1943. 

[16]   Siegbert Kaufmann an Autor Hubert Fromm im September 1988 und 1989, abgedruckt bei Fromm, S. 308; Siehe auch: California, San Francisco, List of United States Citizens Arriving at San Francisco, 1930-1949", FamilySearch (https://www.familysearch.org/ark:/61903/1:1:WYT2-5NPZ : Fri Apr 04 00:01:01 UTC 2025), Entry for Siegbert Kaufmann, 1946.

[17]   National Archives at Washington, DCM; Seventeenth Census of the United States, 1950; Jahr: 1950; Gebiet der Volkszählung: New Britain, Hartford, Connecticut; Rolle: 1451; Seite: 73; Zählungsdistrikt: 11-44.

[18]   Siegbert Kaufmann an Autor Hubert Fromm im September 1988 und 1989, abgedruckt bei Fromm, S. 308;

[19]   Connecticut Department of Public Health; Hartford, Connecticut, USA. 

[20]   Siegbert Kaufmann an Autor Hubert Fromm im September 1988 und 1989, abgedruckt bei Fromm, S. 308.

[21]   Fromm, Coburger Juden, S. 309. 

[22]   "Hartford Courant" vom 05.12.2003.

[23]   Siegbert Kaufmann, in: Find a grave (https://de.findagrave.com/memorial/10797091/siegbert-kaufmann (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 28.08.2025. 

[24]   "Neue Presse Coburg" vom 03.07.2014.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Siegbert Kaufmann hat das Gymnasium Ernestinum übernommen.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadt Coburg
  • Städtische Sammlungen Coburg, Inv.-Nr. 13694,2
  • Stadtarchiv Coburg
  • Stadt Coburg