* 24. Mai 1819
† 22. Januar 1901
Als 18-Jährige besteigt sie den englischen Thron. Das hatten weder Kenner der britischen Monarchie erwartet, noch die Prinzessin selbst. Alexandrina Victoria, Princess of Kent, steht plötzlich an der Spitze eines Landes, das zwar noch gedanklich in der ländlichen Beschaulichkeit des 18. Jahrhunderts verhaftet ist, in dem sich aber schon die Industrialisierung Bahn bricht. Zusammen mit ihrem späteren Gatten, Prinz Albert von Sachsen-Coburg, entwickelt sie Britannien zu einer politischen wie wirtschaftlichen Weltmacht, die über ein Kolonialgebiet verfügt, in dem sprichwörtlich die Sonne niemals untergeht. Persönlich übersteht Victoria mehrere Attentatsversuche, neun Geburten, innenpolitische Spannungen und Skandale. In 60 Jahren Regentschaft drückt Queen Victoria einer ganzen Epoche ihren Stempel auf. Später trägt dieses Zeitalter ihren Namen.
Obwohl Victoria nie längere Zeit in Coburg gelebt hat ist sie auch eng mit der Geschichte des Hauses Sachsen-Coburg verwoben. Zusammen mit ihrem Mann, Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, gründet Victoria am Tag ihrer Hochzeit, am 10. Februar 1840, das Haus „Sachsen-Coburg und Gotha in Großbritannien“. Es regiert dort bis heute wenngleich die britischen Royals 1917 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs den deutschen Namen abgelegt und sich in „Haus Windsor“ umbenannt haben. Ähnlich wie ihr Onkel, der belgischen König Leopold, der ebenfalls ein Prinz aus dem Hause Sachsen-Coburg ist, sorgt Queen Victoria dafür, dass ihre Nachkommen durch Heirat Einfluss auf die führenden Dynastien Europas bekommen. Am Ende sitzen die Kinder und Enkel der Queen auf den Thronen von Norwegen, Schweden, Dänemark, Deutschland, Russland, Jugoslawien, Rumänien, Griechenland und Spanien sowie in den Häusern Sachsen-Coburg und Gotha, Hohenzollern, Hohenlohe-Langenburg und Leiningen. Queen Victoria und ihre Mann, Prinz Albert werden auch gern als „Großeltern Europas“ bezeichnet.
Letztendlich hat Victorias Onkel Leopold schon seine Hand im Spiel, bevor die künftige Königin überhaupt das Licht der Welt erblickt. Seiner Schwester Victoire, einer Prinzessin von Sachsen-Coburg-Saalfeld, empfiehlt er, die Ehe mit Edward August, dem Herzog von Kent, einzugehen. Dieser Verbindung entspringt später Victoria. Nach dem frühen Tod ihres Vaters und ihres Großvaters, dem englischen König Georg III., wächst Victoria unter der strengen Aufsicht ihrer Mutter und des Rechnungsprüfers John Conroy auf. Zwar zählt Victoire durch die Ehe mit dem Herzog von Kent zum britischen Königshaus. Doch es erscheint zunächst als sehr unwahrscheinlich, dass ihre Tochter dort einmal eine führende Rolle spielen könnte. Bei ihrer Geburt steht Victoria an fünfter Stelle der Thronfolge. Trotzdem will ihre Mutter sie vom inneren Zirkel der Monarchie fern halten, damit Victoria nicht in Intrigen hineingezogen wird. Da aber die Brüder ihres Vaters, des Herzogs von Kent, entweder keine erbberechtigten leiblichen Nachfahren vorweisen können oder diese früh sterben, rückt Victoria in der Thronfolge immer weiter nach vorne. Als am 20. Juni 1837 ihr Onkel, König Wilhelm IV., im Alter von 71 Jahren stirbt, ist Victoria die einzige, die ihm auf den Thron folgen könnte. Im Alter von gerade einmal 18 Jahren, wird die Prinzessin von Kent Königin von England.
Das Datum dürfte Victoria wie der Tag der Befreiung vorgekommen sein. Die Mutter hatte das Kind fast vollständig von der Außenwelt isoliert, um es in ihrem Sinne und dem von Berater John Conory, zu formen. Victoria darf sich weder mit Spielkameraden treffen, noch den Kensington-Palast verlassen oder Kontakt zu Verwandten aufnehmen. Bis zu ihrem 18. Geburtstag muss die Prinzessin sogar im Zimmer der Mutter übernachten. Victorias Reaktion auf diese „ziemlich melancholische Kindheit“, wie sie später schreibt, fällt drastisch aus: Conory darf nie wieder den Palast betreten und den Umgang mit der Mutter meidet die junge Königin bis sie eigenen Kinder hat.
Der nächste geschickte Schachzug von „Onkel Leopold“ ist, dass er der Thronfolgerin 1836 seinen Neffen Prinz Albert von Sachsen-Coburg vorstellt. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt schon einen Heiratskandidaten gibt, den zweitältesten Sohn des Königs der Niederlande, zeigt sich Victoria sehr angetan vom Auftreten und den Manieren des Coburger Prinzen. Es dauert allerdings drei Jahre, bis Victoria, die zunächst die Ehe für sich gänzlich ausschließt, ihr Herz für Albert entdeckt. Nur fünf Tage nach dem zweiten Besuch ihres Cousins im Jahr 1839, hält die Königin von England um Alberts Hand an. Das muss dann wohl so etwas wie Liebe auf den zweiten Blick gewesen sein. Das Paar heiratet am 10. Februar 1840 in der königlichen Kapelle des St. James's Palace in London.
Die Beziehung zwischen Victoria und Albert bildet eine bemerkenswerte Ausnahme in der adeligen Welt des 19. Jahrhunderts. Der Ehebund ist hier einmal nicht der Staatsräson oder dynastischen Zielen untergeordnet. Vielmehr verbindet das Paar eine tiefe Zuneigung. Die Königin liebt ihren Albert und schenkt ihm neun Kinder. Sie hasst aber alle mit der Schwangerschaft verbundenen Unannehmlichkeiten. Überkommt sie einer ihrer gefürchteten Gefühlsausbrüche, geht Albert ihr besser aus dem Weg. Zeitweise verkehren sie dann nur noch schriftlich miteinander. Bei der Geburt ihrer letzten Tochter bittet die Königin ihren Leibarzt darum, sie mit Chloroform zu betäuben - eine für die damalige Zeit außergewöhnliche und viel beachtete Maßnahme, die den Siegeszug der Anästhesie positiv beeinflusst.
Obwohl sich Victoria anfangs jede Einmischung von Albert in die Regierungsgeschäfte verbittet, avanciert er doch nach und nach zu einem der wichtigsten Berater der Königin.
Er schreibt ihre Reden, engagiert sich stark in sozialen Belangen und wird spät aber doch noch offiziell zum Prinzgemahl ernannt. Albert führt zwar nicht den Königstitel, ist aber de facto wenige Jahre nach der Eheschließung König von Großbritannien. Die Zeit, die Victoria im Wochenbett verbringt und sich nach den Geburten erholen muss, hilft ihm in diese Rolle hineinzuwachsen. Auf Alberts Initiative hin, nimmt das Königshaus in dieser Zeit auch eine zunehmend neutralere Rolle gegenüber der Tagespolitik ein. Dieser Neutralität fühlen sich die britischen Monarchen noch heute verpflichtet. Dieser Umstand verbietet es Albert später allerdings auch, sozialpolitische Verbesserungen einzufordern, als das Klima im Lande zunehmend rauer wird.
Gesellschaftliches Ungleichgewicht ist sicherlich auch dafür verantwortlich, dass sich fünf der sieben Attentate, die Victoria alle ohne erwähnenswerte Verletzungen übersteht, zwischen 1840 und 1850 ereignen. Die beiden weiteren werden in den Jahren 1872 und 1882 verübt. Es ist sicher auch kein Zufall, dass die Gerichte allen Angeklagten „geistige Zerrüttung“ attestierten und darauf bedacht sind, politische Motive auszuschließen. Es liegt nicht im Interesse des Staates, die Brisanz der gesellschaftlichen Konflikte durch Verschwörungen gegen die Königin bestätigt zu sehen. Natürlich machte es in der Bevölkerung Eindruck, mit welcher Selbstbeherrschung – für Victoria eher ungewöhnlich – die Königin diese Anschläge auf ihr Leben erträgt. Gleichzeitig wird deutlich, wie gespalten die Gesellschaft in dieser Zeit ist. Während vor allem in Irland durch Missernten Hungersnot und Landflucht herrschen, blockieren die Großgrundbesitzer Gesetzentwürfe, die die Öffnung irischer Häfen für die Lieferung günstigen Getreides möglich machen. Das Königshaus kann hier nur unpolitisch agieren und durch eine Spende von 2000 Pfund die irische Landbevölkerung unterstützen.
Parallelen tun sich während des Krimkriegs (1853 – 1856) auf. Großbritannien, das an der Seite von Frankreich und dem Osmanischen Reich gegen das Expansionsstreben Russlands kämpft, verliert in diesem Krieg mehr als 22 000 Soldaten. Die meisten sterben allerdings nicht auf den Schlachtfeldern, sondern wegen mangelnder Versorgung, veralteter Technik, Seuchen und unzureichenden Lazaretten. Infolge des Kriegs keimt in Victoria der Gedanke, das Militär der Hoheit des Parlaments zu entziehen und den Oberbefehlshaber eng an den jeweiligen Monarchen zu binden. Wenn das auch nicht vollständig gelingt, gibt die Königin immerhin den Anstoß zu einer Militärreform und der Erneuerung des Lazarettwesens. Wie fast alle Veränderungen stößt auch diese Prinz Albert im Hintergrund an, der mittlerweile zum unverzichtbaren Berater und Privatsekretär der Königin geworden ist.
Umso schwerer trifft Victoria die Entwicklung des Jahres 1861. Erst stirbt die 74-jährige Mutter der Monarchin am 16. März. Dann verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Prinzgemahls zusehends. Der königliche Leibarzt William Jenner diagnostiziert am 9. Dezember eine Typhuserkrankung, von der sich Albert nicht wieder erholt. In Anwesenheit Victorias sowie fünf der neun gemeinsamen Kinder stirbt er am 14. Dezember 1861 im Alter von 42 Jahren auf Windsor Castle. Für die Öffentlichkeit scheint es so, als wäre an diesem Tag auch die Königin aus dem Leben geschieden. Sie verlässt Windsor Castle und zieht sich in die Einsamkeit von Balmoral Castle oder Osborne House zurück. Die einst lebenslustige Victoria trägt von nun an nur noch die schwarze Witwentracht und ist bei den immer seltener werdenden öffentliche Auftritten mit trauriger oder strenger Mine zu sehen.
Die Abkehr der Königin vom öffentlichen Leben stellt für die britische Politik ein Problem dar. Selbst als das Trauerjahr vergangen ist, denkt Victoria nicht wieder daran, ihre Amtsgeschäfte aufzunehmen. Sie beschäftigt sich fast ausschließlich damit, wie sie das Andenken an Albert aufrecht erhalten könnte. In dieser Zeit werden überall im Commonwealth Prinz-Albert-Denkmäler aufgestellt, repräsentative Bauten, Berge oder ganze Landstriche nach ihm benannt. Der Erinnerungskult reicht so weit, dass auf Geheiß der Queen das Sterbezimmer von Albert in Windsor Castle nicht verändert werden darf. Für viele ihrer Untertanen wird die „Witwe von Windsor“ zu einer etwas wunderlichen Einsiedlerin. Ihr Diener John Brown, seit Alberts Tod stets an ihrer Seite, hilft Victoria, den Schmerz zu überwinden. Die Boulevardpresse bauscht die enge Beziehung allerdings zum Skandal auf. Die Queen wird als "Mrs. Brown" geschmäht, das Ansehen der Monarchie sinkt auf einen Tiefpunkt.
Mitte der 1870er Jahre verabschiedet sich Victoria aus der selbst gewählten Abgeschiedenheit und nimmt wieder öfter am öffentlichen Leben teil. Für die Menschen verblasst das Bild der trauernden Witwe, die ihre öffentlichen Pflichten als Monarchin vernachlässigt, angsam. Sie nehmen Victoria wieder als Landesmutter wahr, der sie Achtung und Zuneigung entgegenbringen. Die Königin vermittelte der Bevölkerung ein Gefühl der Kontinuität und Beständigkeit in einer Welt der Umbrüche und wird zum Symbol des Britischen Empire mit seinen Errungenschaften.
Anlässlich der Heirat einer ihrer Enkelin mit dem Großherzog von Hessen weilt die Queen 1894 ein letztes Mal in Coburg. Es ist der siebte Besuch in der Heimatstadt ihres Mannes und ihrer Mutter. Eine andere Enkelin verlobt sich während der Hochzeitsfeierlichkeiten mit dem russischen Thronfolger, dem späteren Zar Nikolaus II. Die Feiern gehen als das letzte große Familientreffen in die Geschichte ein - 20 Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Am 23. September 1896 feiert Victoria ihr diamantenes Thronjubiläum und ist zu diesem Zeitpunkt die am längsten regierende Monarchin der englischen, schottischen und britischen Geschichte. Im Jahr 2015 wird sie darin allerdings von ihrer Ur-Ur-Enkelin Elisabeth II. übertroffen. Da die Feierlichkeiten erst ein Jahr später stattfinden, fährt Victoria am 22. Juni 1897 in einer achtspännigen Staatskutsche auf einer fast zehn Kilometer langen Route durch London, begleitet von Truppen aus allen Teilen des Empire. Victoria wähnte sich auf dem Höhepunkt ihrer Popularität. Weltweit finden in den britischen Kolonien Feiern statt, wochenlang gibt es Feuerwerke, Festveranstaltungen, Paraden und Gottesdienste.
Victorias Gesundheitszustand, der stets robust war, macht am Ende des 19. Jahrhunderts ihrem Leibarzt Sorgen. Sie klagt über Rheuma in den Beinen, weshalb sie zunehmend auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Zusätzlich verschlechtert sich ihr Sehvermögen. Dazu kommen noch leidvolle Momente, die sich in den letzten Lebensjahren der Monarchin häufen: 1878 stirbt ihre Tochter Alice, am 30. Juli 1900 ihr Sohn Alfred, der regierender Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha. Victoria erwägt im Oktober des gleichen Jahres einen Besuch in Coburg. Sie möchte Alfreds Grabstätte, das Herzogliche Mausoleum auf dem Coburger Glockenberg besuchen. Doch dazu kommt es nicht mehr. Die Kräfte der Königin schwinden. Am 22. Januar 1901 entschläft Victoria in den Armen ihres Enkels, dem deutschen Kaiser Wilhelm II., und ihres Sohnes.