Am Samstag gedachten zahlreiche Coburgerinnen der Opfer des Faschismus. Sie nahmen am Gedenkweg teil, den der Arbeitskreis Erinnerungskultur anlässlich des Gedenktages an die Reichspogromnacht organisierte. Der Weg führte Stelen vor dem Rathaus und am Ilse-Kohn-Platz, die an das Schicksal von Coburger Bürgerinnen erinnern, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Sie zeigen, was geschieht, wenn Hass und Hetze regieren.
Oberbürgermeister Dominik Sauerteig betonte in seiner Rede die Bedeutung des Gedenkens und mahnte zur Wachsamkeit gegenüber heutigen Gefahren für die Demokratie. "Es ist nun an uns, unsere Demokratie und unsere Werte zu verteidigen. Gegen Hass und Hetze, gegen falsche Anfeindungen, gegen Unwahrheiten", betonte er. Die Stelen sollen nicht nur erinnern, sondern auch mahnen. Sie zeigen, wohin Ausgrenzung und Verfolgung führen können. "Lassen Sie uns jeden einzelnen Tag erinnern und mahnen. Einschreiten, schützen und unterstützen. Damit die Generationen, die auf uns folgen, sich nicht die Frage stellen müssen: Was hätten wir getan?", appellierte Sauerteig.
Dominik Sauerteigs Rede im Wortlaut
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Aktive unseres Netzwerks Erinnerungskultur,
vielen Dank, dass Sie heute alle hier sind. Dass Sie hier sind, um Nein zu sagen zu Hass und Hetze. Um zu erinnern, was in den dunkelsten Jahren unserer Geschichte hier in Coburg passiert ist. Und ganz speziell in dieser Nacht vom 9. auf den 10. November.
Diese Erinnerung schmerzt. Wir werden es alle besonders spüren, wenn wir gleich die Erinnerungstafeln lesen und die Geschichten der Menschen hören.
Zu hören, was Menschen angetan wurde, weil sie Juden waren, weil sie einer falschen Partei angehörten, weil sie der Ideologie der Nazis widersprachen, es schmerzt.
Von ihren Qualen zu lesen, ist selbst heute nur schwer auszuhalten.
Wie ging es wohl den Coburger Bürgerinnen und Bürgern, die das damals miterlebt haben, die Schreie gehört haben? Die, denen das Regime, die Gewalt, die Ausgrenzung, Hass und Hetze zuwider war, die aber auch keine Möglichkeit sahen, ihren Nachbarn und Freunden zu helfen, die nun zu Staatsfeinden deklariert worden waren. Für die Hilfe zu spät kam.
Was hätten wir getan? Wie wäre es uns ergangen?
Wir haben das Glück heute, in einem lebens- und liebenswerten, bunten und offenen Coburg zu leben.
In einer Stadt, in der wir gerade erst wieder etwa 300 Coburgerinnen und Coburger eingebürgert haben. In der Ehrenamtliche in Schulen gehen, um Kindern mit Migrationshintergrund beim Deutsch lernen zu helfen. In der Möbel verschenkt werden, um Flüchtlingen den Start in Deutschland zu verbessern. In der gemeinsam gekocht wird für Weltbürger. Und in der über 160 Nationen friedlich zusammenleben, Glaubensgemeinschaften miteinander für den Frieden beten.
Eine Stadt in der sich jeder und jede zuhause fühlen darf – egal welche Religion, Herkunft, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung er oder sie hat.
In der Hass und Hetze keinen Platz haben.
Dafür stehen wir als Stadt Coburg, aber auch ich ganz persönlich, als Sprecher von Coburg ist bunt, als Oberbürgermeister, als Mensch.
Für uns erscheint all das fast selbstverständlich. Doch das ist es nicht. Wir leben in bewegten Zeiten:
Der Druck steigt. Der Druck auf unsere Demokratie, auf unsere Werteordnung.
Wir dürfen diesen Druck nicht unterschätzen. Denn wir wissen: Bereits auch in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten wir eine Phase der Ausgelassenheit, der Toleranz, der Freilebigkeit.
Mit der wirtschaftlichen Krise kam der Wandel, kamen die Faschisten, kam das Leid, kamen Hass und Hetze.
Nun stehen wir wieder an einem Scheidepunkt. Der Wirtschaftsstandort Deutschland und damit der Wohlstand taumelt. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für viele führende Nationen.
Mit der Unzufriedenheit und Sorge wächst der Nährboden für Nationalisten, Kriegstreiber und Demagogen.
Russland und die Ukraine, Israel und Palästina befinden sich im Krieg.
In den USA wurde in den vergangenen Tagen ein Mann zum Präsidenten gewählt, der strafrechtlich verurteilt ist, der Migranten als Feinde Amerikas darstellt, Internierungslager für illegale Einwanderer in Erwägung zieht.
Donald Trump hielt noch wenige Tage vor der Wahl eine verstörende Rede in der er Migranten gegen professionelle Kämpfer antreten lassen will und von der Todesstrafe sowie der Vergiftung des Landes durch Migranten spricht.
Dennoch ist er demokratisch gewählt worden. Er hat die Menschen erreicht.
Macht Ihnen das auch große Sorge oder gar Angst?
Wenn ich solche Sätze lese, kann ich nicht glauben, dass sie nicht aus dem 20. Jahrhundert stammen, sondern aus dem Oktober 2024 und von einem Mann, der zum Präsidenten des Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde.
Mir macht das große Sorgen.
Auch erschreckt es mich, wie in Deutschland Egoismus sowie Angst und Ablehnung gegenüber Fremden wachsen. Die Stimmung ist aufgeheizt, sachliche Argumente auszutauschen ist schwierig. Die Gräben wachsen.
Wo beginnt etwas, das wir nicht mehr aufhalten können? Das unsere Demokratie, unsere Freiheit, unsere Werte ernsthaft gefährdet.
Und was können wir tun, um es zu stoppen? Was können wir tun, dass Hass und Hetze uns nie wieder in einer Situation bringen, in der wir das Gefühl haben machtlos zu sein. Nicht helfen zu können.
Und wir rufen – wie schon so lange: Wehret den Anfängen.
Denn die Anfänge sind da. In Coburg, in Deutschland und weltweit.
Es ist nun an uns, unsere Demokratie und unsere Werte zu verteidigen. Gegen Hass und Hetze, gegen falsche Anfeindungen, gegen Unwahrheiten.
Vor allem gegen jede noch so kleine Strömung, die unsere Demokratie zum Wanken bringen könnte.
Das ist unsere Verantwortung – als Demokratinnen und Demokraten und als Menschen.
Doch wie nur? Ich wünschte manchmal ich hätte eine Pauschalantwort dafür.
Was wir wissen ist: Wir müssen miteinander sprechen, statt gegeneinander zu polemisieren. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen, Verständnis schaffen.
Wir dürfen uns nicht gegenseitig zerfleischen, wir müssen gemeinsam Entscheidungen treffen zum Wohle der Bevölkerung.
Hier in Coburg denke ich ist es ganz besonders unsere Pflicht, immer und immer wieder zu erinnern, was damals passiert ist.
Und dass wir davor auf keinen Fall ein weiteres Mal gefeit sind. Denn offensichtlich hat die Menschheit nur bedingt gelernt.
Jeden Tag, bei jedem Gedanken, bei jedem Zusammentreffen mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern, müssen wir unsere demokratischen Werte verteidigen.
Es ist sicherlich noch lange nicht zu spät.
Dass wir alle heute und hier zusammen und treten dafür ein, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, ist wichtig. Dass die Stelen hier weiter am Markt stehen auch. Keiner darf sagen, er wisse nicht was damals passiert sei. Wir halten die Erinnerung wach.
Deshalb danke ich Ihnen allen, dass Sie heute hier sind und für unsere Demokratie einstehen. Und heute bedanke ich mich besonders bei denen, die an der Organisation und Durchführung dieser Gedenkveranstaltung mitwirken aus dem Kreis der Evangelischen Erwachsenenbildung, des Deutschen Gewerkschaftsbunds, der Initiative Stadtmuseum und vielen zumeist langjährig engagierten Privatpersonen. Namentlich nenne und danke ich stellvertretend für Sie alle Pfarrer Dieter Stößlein als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Lebendige Erinnerungskultur.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Unmenschlichkeit keinen Platz für Ihre Parolen findet.
Lassen Sie uns für ein friedliches Miteinander einstehen.
Lassen Sie uns genau hinsehen und aufstehen, wenn wir Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im kleinsten erkennen.
Lassen Sie uns jeden einzelnen Tag erinnern und mahnen. Einschreiten, schützen und unterstützen.
Damit die Generationen, die auf uns folgen, sich nicht die Frage stellen müssen: Was hätten wir getan?
Damit sie sagen können: Wir haben etwas gelernt aus unserer Geschichte. Wir haben etwas getan. Wir haben den Anfängen gewährt.
Wir haben unsere Demokratie geschützt. Wir haben uns als Gesellschaft auch in schwierigen Zeiten gegen Hass und Hetze, gegen Lügen und Gewalt gestellt.
Danke, dass Sie alle etwas tun! Danke, dass Sie hier sind.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.