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Stadt Coburg

Stolperstein

Otto Fechheimer

Inhalt

  1. Biographie
  2. Jugendjahre und Wachsender Antisemitismus
  3. NS-Zeit
  4. Flucht
  5. Leben in Rio und Tod
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Otto Fechheimer (ki-bearbeitet)

Otto Fechheimer kam am 21. März 1908 in Coburg zur Welt.[1] Seine Eltern waren Hugo Fechheimer (Öffnet in einem neuen Tab) und Frieda Fechheimer (Öffnet in einem neuen Tab), geb. Schwarzbauer. Otto hatte einen jüngeren Bruder:

Jugendjahre und Wachsender Antisemitismus

Wohnhaus der Familie Fechheimer in der Raststraße

Otto Fechheimers Kindheit fiel in die Zeit des Ersten Weltkriegs und der politisch wie wirtschaftlich belasteten Nachkriegsjahre. 1914 wurde er schulpflichtig, ab 1918 besuchte er das Gymnasium Casimirianum und legte dort 1926 das Abitur ab.[2] Die Familie ist seit 1913 in einer Wohnung in der Raststraße 8 nachweisbar.[3] Der Vater Hugo Fechheimer war Mitinhaber des Kaufhauses Fechheimer.[4] Im März 1921 beging Otto in der Coburger Synagoge seine Bar Mizwa.

Die Jahre nach 1918 waren in Coburg – wie in vielen anderen Regionen – von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und einer Zunahme nationalistischer und antisemitischer Strömungen geprägt. In Teilen der lokalen Presse, in Versammlungen und Flugschriften traten vermehrt Akteure hervor, die an reichsweite antisemitische Deutungsmuster anknüpften und jüdische Einwohner pauschal für Kriegsniederlage, Revolution und ökonomische Probleme verantwortlich machten. Seit den frühen 1920er-Jahren gewannen rechtsradikale und völkisch orientierte Gruppen, darunter auch die NSDAP, an Einfluss im städtischen Raum. Antisemitische Aktionen richteten sich in zunehmendem Maße gegen jüdische Einrichtungen, Geschäfte und Einzelpersonen. Nicht alle Vorfälle sind im Detail dokumentiert, doch zeigen die überlieferten Beispiele, dass Anfeindungen, Boykottaufrufe und Übergriffe in Coburg bereits vor 1933 an Häufigkeit zunahmen.

Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde sank zwischen 1925 und 1933 von 316 auf 233 Personen.[5] Dieser Rückgang ist Ergebnis verschiedener Faktoren: beruflicher und sozialer Mobilität, innerjüdischer Wanderungsbewegungen und individueller Lebensentscheidungen, aber auch wachsender Verunsicherung angesichts einer politisch aufgeheizten und zunehmend antisemitisch geprägten Öffentlichkeit.

Für das Kaufhaus Fechheimer lassen sich in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren wirtschafts- und steuerpolitische Maßnahmen nachweisen, die größere Betriebe besonders trafen. Nach dem kommunalen Wahlerfolg der NSDAP im Jahr 1929 wurden in Coburg unter anderem eine Warenhaussteuer und Abgaben „zum Schutz der kleinen Geschäftsleute“ eingeführt, die vor allem auf umfangreichere Unternehmen zielten und damit auch das Haus Fechheimer belasteten.[6] Solche Regelungen standen im Kontext zeitgenössischer Debatten über Wettbewerb, Mittelstandsschutz und – in Teilen – antisemitisch aufgeladene Kritik an großen, häufig als „jüdisch“ markierten Häusern. Sie richteten sich jedoch nicht ausschließlich gegen einen einzelnen Betrieb.

Parallel dazu bedienten nationalistische und nationalsozialistische Publikationen in Coburg stereotype Feindbilder des „jüdischen Warenhauses“[7] und riefen wiederholt zu Konsumverzicht gegenüber jüdischen Geschäften auf.[8] In einzelnen Fällen, darunter eine Boykottkampagne Anfang der 1930er-Jahre, setzten sich betroffene Geschäftsleute – auch Hugo Fechheimer – juristisch zur Wehr. In einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Bamberg wurde eine antisemitische Zeitung zu einer Geldstrafe verurteilt und verpflichtet, bestimmte Boykottaufrufe zu unterlassen.[9] Dieses Urteil verweist darauf, dass vor 1933 rechtliche Handlungsspielräume zur Gegenwehr noch bestanden, auch wenn sie durch den wachsenden politischen Einfluss radikaler Kräfte zunehmend eingeschränkt wurden.

Otto Fechheimer wuchs in diesem Spannungsfeld von bürgerlicher Bildungsaspiration, familiärem Unternehmertum und sich verschärfendem antisemitischem Klima auf. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaft an der Universität Würzburg, trat in eine jüdische Studentenverbindung ein, und schloss das Studium Anfang der 1930er-Jahre mit dem ersten Staatsexamen ab.[10] Anschließend trat er den juristischen Vorbereitungsdienst als Referendar an.[11] Die späteren antisemitischen Ausgrenzungsmaßnahmen im Berufs- und Beamtenrecht trafen ihn damit in einer Phase des Übergangs von Ausbildung zu beruflicher Etablierung.

NS-Zeit

Einwohnermeldekarte von Otto Fechheimer

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 verschärfte sich überall in Deutschland die Situation für jüdische Bürger sowie für politische Gegner des Regimes. Bereits in den ersten Wochen nach der Machtübernahme kam es zu öffentlichen Anfeindungen, Übergriffen und administrativen Maßnahmen, an denen lokale NS-Akteure und Teile der Sicherheitsorgane beteiligt waren.

Für Otto Fechheimer, der das erste juristische Staatsexamen abgelegt hatte und sich inmitten seines Rechtsreferendariats befand, waren insbesondere die im Frühjahr 1933 erlassenen antisemitischen Berufsregelungen einschneidend. Dazu gehörten das „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ vom 7. April 1933 sowie das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ mit seinen Durchführungsverordnungen.[12] Sie zielten darauf ab, „nichtarische“ Juristen aus dem Justiz- und Anwaltsbereich zu verdrängen bzw. ihre weitere Zulassung zu verhindern. Für jüdische Referendare und junge Juristen bedeutete dies, dass ihre weitere Ausbildung und der Zugang zu klassischen juristischen Berufslaufbahnen in Deutschland massiv eingeschränkt oder faktisch blockiert wurden. Infolge dieses Maßnahmenbündels konnte Otto Fechheimer seine juristische Laufbahn im Deutschen Reich nicht fortsetzen und verlor dadurch seine beruflichen Perspektive.

Flucht

Otto Fechheimer

Seiner beruflichen Perspektiven in Deutschland beraubt, verließ Otto Fechheimer, wie auch seine restliche Familie,[13] das Reich und ging – nach mündlicher Überlieferung – zunächst nach Amsterdam, wo seit 1919 sein Cousin Curt Blüth lebte.[14] Die genaue Abfolge seiner Reisewege und Aufenthaltsgenehmigungen ist nicht in allen Punkten gesichert. Fest steht, dass Otto Fechheimer in den Niederlanden den Versuch unternahm, ein Einwanderungsvisum für Brasilien zu erhalten und sich damit in einer Situation befand, die viele deutsch-jüdische Emigranten teilten.

Die niederländischen Behörden ermöglichten in dieser Zeit in begrenztem Umfang die Aufnahme von Flüchtlingen, zielten jedoch in vielen Fällen auf einen vorübergehenden Aufenthalt, der von gültigen Papieren und der Aussicht auf Weiterwanderung in ein Drittland abhing. Parallel dazu wurde die brasilianische Einwanderungspolitik zunehmend reguliert und restriktiv. Formale Voraussetzungen wie Quotenregelungen nach Herkunftsländern, Nachweise über ausreichende finanzielle Mittel und Bürgschaften sowie eine teilweise diskriminierende Verwaltungspraxis erschwerten insbesondere jüdischen Antragstellern den Zugang. In der Praxis waren erfolgreiche Anträge häufig an wirtschaftliche Ressourcen, berufliche Qualifikationen oder bestehende Kontakte geknüpft.

Vor diesem Hintergrund gelang Otto Fechheimer in der Mitte der 1930er-Jahre die Emigration nach Brasilien. Welche rechtlichen Schritte und Netzwerke diesen Übergang im Einzelnen ermöglichten, lässt sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand nur in Umrissen nachvollziehen.

Leben in Rio und Tod

Hochzeitsanzeige von Otto und Eva Fechheimer 1937

In Rio de Janeiro baute Otto Fechheimer sich eine neue berufliche Existenz auf und gründete ein Unternehmen im elektrotechnischen Bereich.[15] Am 21. August 1937 heiratete er Eva Wolff (geb. 16. Juli 1917 in Potsdam), die als Jüdin von den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gleichermaßen betroffen war.[16] Aus der Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor, die in Brasilien aufwuchsen und damit zur zweiten Generation der Emigranten gehören. 

1939 konnten auch Ottos Eltern Hugo und Frieda Fechheimer nach Rio de Janeiro emigrieren und lebten fortan im familiären Umfeld ihres Sohnes.[17] Hugo Fechheimer starb dort 1949,[18] Frieda Fechheimer 1953.[19] Otto Fechheimer blieb in Rio de Janeiro ansässig. Er starb am 18. November 1987 im Alter von 79 Jahren und wurde auf dem Cemiterio Comunal Israelita in Rio de Janeiro beigesetzt.[20] Seine Biografie steht exemplarisch für jüdische Emigranten, die nach dem Verlust ihrer beruflichen und sozialen Stellung im „Dritten Reich“ in Brasilien eine neue, von Migrationserfahrungen und transnationalen Bezügen geprägte Lebensperspektive entwickelten.

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fechheimer, Otto.

[2]    Staatsarchiv Coburg, Casimirianum 1175, S. 16. 

[3]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Fechheimer, Hugo und Frieda.

[4]    Coburger Zeitung vom 21.10.1905.

[5]    Vgl. Eva Karl, Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 39-172.

[6]    Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 111.

[7]    Zitiert nach Fromm, Coburger Juden, S. 108; Boseckert, Kauf- und Warenhäuser, S. 63.

[8]    Joachim Albrecht, Die Avantgarde des Dritten Reiches – Die Coburger NSDAP während der Weimarer Republik 1922–1933, Frankfurt am Main 2005, S. 143f.

[9]    Fromm, Coburger Juden, S. 52ff.

[10]   Roland Flade, Die Würzburger Juden. Ihre Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Würzburg 1987, S. 269.

[11]   Ebd. 

[12]   RGBl 1933, I, S. 188. 

[13]   Karl, Eva: Coburg voran!, S. 549f. Vgl. auch: Testimony of Curt Blueth, born in Coburg, Germany, regarding his experiences in Coburg and the Netherlands. Yad Vashem 0.3/941; Vgl. auch: Hubert Fromm, Der Antisemitismus von 1919 bis 1942, in: Hubert Fromm (Hrsg.): Die Coburger Juden. Geduldet – Geächtet – Vernichtet, Coburg ³2012, S.1-138, S.114. Amtliche Dokumente über einen Aufenthalt Otto Fechheimers in Amsterdam liegen nicht vor. 

[14]   Amsterdam City Archives à Amsterdam, Inscription des étrangers Part: 946, Période: 1922, Amsterdam.

[15]   Flade, Würzburg, S. 269; Richard Fechheimer, Family Tree. Descendants of Meyer Fechheimer and his Fourteen Children, o. J., S. VI-3.

[16]   Fechheimer, Family Tree, S. VI-7; Jüdische Rundschau vom 24.08.1937.  

[17]   Rio de Janeiro Brazil, Immigration Cards, 1900-1965. FamilySearch, Salt Lake City, Utah, 2013. Index entries derived from digital copies of original and compiled records. 

[18]   Hugo Fechheimer, in: Find a grave (https://de.findagrave.com/memorial/284278038/hugo-fechheimer (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 19.09.2025. 

[19]   Frieda “Frida” Schwarzbauer Fechheimer, in: Find a grave (https://de.findagrave.com/memorial/284278102/frieda-fechheimer (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 19.09.2025. 

[20]   Otto Arnold Samuel Fechheimer, in: Find a grave (https://de.findagrave.com/memorial/284285526/otto-arnold_samuel-fechheimer) (Öffnet in einem neuen Tab), aufgerufen am 19.09.2025. 

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Otto Fechheimer haben Claudio Fechheimer, Daniela Fechheimer Goldin und Lilian Thomer übernommen.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadtarchiv Coburg
  • Christian Boseckert
  • Stadtarchiv Coburg
  • Privatbesitz Familie Fechheimer
  • Jüdische Rundschau vom 24.08.1937
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