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Stadt Coburg

Stolperstein

Anneliese Ludwig, verh. Oppenheimer

Inhalt

  1. Biographie
  2. Leben in Coburg
  3. NS-Zeit
  4. Heirat, Flucht und Rückkehr
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Anneliese Ludwig (ki-bearbeitet)

Anneliese Ludwig kam am 3. September 1913 in Coburg zur Welt.[1] Ihr Vater Nathan Ludwig (Öffnet in einem neuen Tab) wurde am 12. Oktober 1871 in Gleicherwiesen (Herzogtum Meiningen) geboren, ihre Mutter Bella Ludwig, geborene Kahn (Öffnet in einem neuen Tab), kam am 16. Februar 1888 in Simmershausen (Herzogtum Meiningen) zur Welt. Anneliese hatte eine Schwester: 

Leben in Coburg

Das Wohnhaus der Familie Ludwig in der Gartenstraße

Das Leben der jüdischen Bevölkerung in Coburg veränderte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs deutlich. Infolge der Niederlage von 1918, der wirtschaftlichen Instabilität und der politischen Umbrüche suchten Teile der Bevölkerung nach Sündenböcken. Antisemitische Propaganda verbreitete zunehmend die Vorstellung, Juden hätten zur „Dolchstoßlegende“ beigetragen und trügen eine Mitverantwortung für die deutsche Niederlage und die wirtschaftliche Krise der Weimarer Republik.

Ab 1919 war in Coburg wie andernorts eine wachsende antisemitische Agitation zu beobachten – unter anderem in Flugblättern, Zeitungsartikeln, Plakaten und öffentlichen Vorträgen. Diese ideologische Hetze bildete einen Nährboden für zunehmende gesellschaftliche Ausgrenzung und gewalttätige Übergriffe auf jüdische Mitbürger.

Eine neue Eskalationsstufe begann 1929, als die Nationalsozialisten bei den Stadtratswahlen in Coburg die Mehrheit errangen – ein deutschlandweit einmaliger Vorgang zu diesem frühen Zeitpunkt. In der Folge kam es zu einem markanten Anstieg antisemitisch motivierter Gewalt, etwa in Form von Sachbeschädigungen an jüdischem Eigentum und Übergriffen auf einzelne jüdische Personen. Viele Betroffene versuchten sich mit juristischen Mitteln – etwa durch Anzeigen und Gerichtsverfahren – zur Wehr zu setzen. Diese Maßnahmen blieben jedoch zumeist ohne nachhaltige Wirkung, auch weil die Justiz zunehmend antisemitische Täter nicht oder nur milde verfolgte.

Als Reaktion auf die sich verschärfende gesellschaftliche Lage verließen zahlreiche jüdische Familien Coburg. Die Mitgliederzahl der Jüdischen Gemeinde sank von 316 Personen im Jahr 1925 auf 233 im Jahr 1933.[2]

Anneliese Ludwig erlebte diese Entwicklung während ihrer Kindheit und Jugend. Sie besuchte ab etwa 1919 eine Schule in Coburg und lebte mit ihrer Familie in der Brückenstraße (heute Gartenstraße).[3] Antisemitismus im Schulalltag war nicht einheitlich ausgeprägt: Während einige jüdische Schülerinnen und Schüler bis 1933 kaum antisemitische Anfeindungen erfuhren, berichten andere von Diskriminierung, Isolation und offenen Feindseligkeiten – sowohl durch Mitschüler als auch durch Lehrkräfte. Diese ambivalente Erfahrungslage spiegelt sich auch in biografischen Studien wider, etwa in den Arbeiten von Hubert Fromm.[4]

Im Alter von 15 Jahren erlebte Anneliese, wie ihre Familie in finanzielle Schwierigkeiten geriet. 1929 wurde über das Vermögen ihres Vaters Nathan Ludwig, der eine Viehhandlung betrieb, ein Konkursverfahren eröffnet.[5] Trotz Abschluss des Verfahrens bestand das Geschäft weiterhin, die wirtschaftlichen Probleme blieben jedoch bestehen. 1932 verkaufte Nathan Ludwig sein Haus in der Brückenstraße 3 (heute Gartenstraße 3), möglicherweise im Zuge dieser wirtschaftlichen Belastung.[6] Die Familie konnte jedoch zunächst weiterhin in dem Gebäude wohnen bleiben.

NS-Zeit

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und der anschließenden Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur kam es auch in Coburg ab März 1933 zu zunehmenden antisemitischen Übergriffen und Repressionen gegen die jüdische Bevölkerung.[7] Diese reichten von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Druck bis hin zu körperlicher Gewalt, Plünderungen und öffentlicher Stigmatisierung – befördert durch die lokale NSDAP-Strukturen und paramilitärische Organisationen wie die SA.

Die Familie Ludwig blieb nach derzeitigem Wissen von unmittelbarer physischer Gewalt und offener Schikane durch das NS-Regime zunächst verschont. Dennoch veränderte sich ihr Leben nachhaltig: Die politische Gleichschaltung, die antisemitischen Boykotte und die gesellschaftliche Ausgrenzung jüdischer Bürger beeinträchtigten auch die Ludwigs zunehmend. Besonders die schrittweise wirtschaftliche Marginalisierung jüdischer Gewerbetreibender machte ein Verbleiben in Deutschland für viele unerträglich.

In diesem Kontext entschloss sich Annelieses Schwester Erna Hilde Ludwig, das nationalsozialistische Deutschland zu verlassen. Anfang Dezember 1934 emigrierte sie in die Niederlande.[8] Im Herbst 1935 untersagte die Coburger Stadtverwaltung im Alleingang jüdischen Bürgern den Viehhandel. Damit verlor die Familie die bisherige wirtschaftliche Existenzgrundlage.[9] Nathan Ludwig war daher gezwungen, neue berufliche Wege zu gehen, um seine Frau und seine Tochter Anneliese zu versorgen. Er nahm daher eine Stellung als Wäschevertreter an und versuchte ab 1937 als Handlungsreisender neue Absatzmöglichkeiten zu finden.[10] 

Gleichzeitig musste die Familie, im März 1936, ihr Haus in der Brückenstraße verlassen. Auch wenn die genauen Umstände nicht dokumentiert sind, spricht die zeitliche Einbettung und der Verlust Ihrer Wohnung für wirtschaftlichen oder politischen Druck als Auslöser. Die Ludwigs lebten fortan im Haus des jüdischen Papierhändlers Kaufmann in der Bahnhofstraße 25a.[11] Der erzwungene Wohnungswechsel steht exemplarisch für die zunehmende soziale Marginalisierung jüdischer Familien: Er bedeutete nicht nur den Verlust von Eigentum und Sicherheit, sondern auch einen weiteren Schritt in die gesellschaftliche Isolation.

Heirat, Flucht und Rückkehr

Anneliese Ludwig heiratete am 28. Mai 1936 in Coburg den Kaufmann und Handlungsreisenden Wilhelm Oppenheimer.[12]  Er war ebenfalls jüdischer Herkunft und wurde am 20. Mai 1905 in Bad Wildungen bei Kassel im damaligen Königreich Preußen geboren. Nach ihrer Heirat wohnte das Ehepaar ebenfalls im Haus Bahnhofstraße 25a[13] 

Angesichts der sich verschärfenden Repressionen gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, insbesondere nach der Einführung der Nürnberger Gesetze im Herbst 1935, entschlossen sich Anneliese und Wilhelm Oppenheimer zur Emigration. Mitte Oktober 1937 verließen sie Deutschland mit gültigen Ausreisepapieren und wanderten nach Kolumbien aus.[14] Ihre Entscheidung war Teil einer größeren Fluchtbewegung europäischer Juden, die sich angesichts der Entrechtung und zunehmenden Bedrohung durch das NS-Regime gezwungen sahen, Deutschland zu verlassen.

Kolumbien war jedoch keines der Hauptaufnahmeländer für jüdische Flüchtlinge. Die Migrationspolitik der Regierung in Bogotá war widersprüchlich: Einerseits hoffte man, durch europäische Zuwanderung wirtschaftliche Impulse zu erhalten; andererseits schränkte man die Einreisebedingungen zunehmend ein. So waren ab 1938 strengere Visabestimmungen in Kraft, und jüdische Einwanderer mussten nachweisen, dass sie keine wirtschaftliche Belastung darstellen würden. Viele von ihnen benötigten Bürgschaften, Kontakte oder Unterstützung durch jüdische Hilfsorganisationen. Die Oppenheimers gelangten offenbar noch vor der drastischen Verschärfung der Einreisebestimmungen nach Kolumbien – ein Umstand, der ihre Ausreise erheblich erleichtert haben dürfte.

Das Ehepaar ließ sich in Popayán nieder, einer kolumbianischen Stadt in den Anden. Am 8. Mai 1939 wurde dort ihr Sohn Georg geboren.[15] In Kolumbien lebte die Familie in relativer Sicherheit vor der nationalsozialistischen Verfolgung, doch das Exil bedeutete auch große Anpassungsleistungen, wirtschaftliche Unsicherheiten und einen vollständigen Neuanfang in einem kulturell und sprachlich fremden Land.

Anfang der 1960er Jahre zog die Familie nach Bogotá, die kolumbianische Hauptstadt.[16] Dort verstarb Wilhelm Oppenheimer im Jahr 1961 im Alter von 56 Jahren.[17] In den darauffolgenden Jahren heiratete Anneliese ein zweites Mal. Ihr neuer Ehemann war Albert Stern, geboren am 20. März 1902 in Meinerzhagen (Westfalen), ebenfalls ein jüdischer Emigrant.[18]

Im Jahr 1965 kehrte Anneliese Stern gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn Georg nach Deutschland zurück.[19] Diese Rückkehr steht exemplarisch für eine kleinere Gruppe jüdischer Emigranten, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg zurück in das Land ihrer Herkunft suchten – aus familiären, wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen. Anneliese fand in Köln eine neue Heimat. Dort starb sie am 16. August 2001 im Alter von 87 Jahren.[20]

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]    "Regierungs-Blatt für das Herzogtum Coburg" vom 17.09.1913, S. 375.

[2]    Eva Karl, Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 39-172.

[3]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Ludwig, Nathan und Bella.

[4]    Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 247 (Beispiel: Esther Hirschfeld (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 252f. (Beispiel: Hildegard Reinstein (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 266f. (Beispiel: Max G. Löwenherz); S. 287 (Beispiel: Hans Morgenthau (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 292 (Beispiel: Gertrude Mayer); S. 307 (Beispiel: Siegbert Kaufmann (Öffnet in einem neuen Tab)). 

[5]    "Coburger Zeitung" vom 15.06.1929.

[6]    Helmut Wolter. Das Häuserbuch der Stadt Coburg. Bd. 7, Bärenholzweg, Baumschulenweg, Beerhügel, Bergstraße, Bertelsdorfer Weg, Blumenstraße, Brauhof, Brückenstraße, Regensburg 2010, S. 118.

[7]    Fromm, Coburger Juden, S. 65.

[8]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Ludwig, Erna Hilde

[9]    Fromm, S. 103f.

[10]   Stadtarchiv Coburg, A 11291, fol. 26v; Siehe auch: Verzeichnis jüdischer Gewerbebetriebe vom August 1938; Stadtarchiv Coburg, A 10395, fol. 29.

[11]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Ludwig, Nathan und Bella.

[12]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Ludwig, Anneliese Marka; Siehe auch: Staatsarchiv Coburg, Amtsgericht Coburg 61.045, fol. 8. 

[13]   Ebd.

[14]   Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Oppenheimer, Willy und Anneliese

[15]   Mitteilung der Friedhofsverwaltung Bielefeld vom 03.08.2023.

[16]   The National Archives at Washington, D.C., NAI-Nummer: 2848504; Titel des Aufzeichnungssatzes: Records of the Immigration and Naturalization Service, 1787-2004; Nummer des Aufzeichnungs-satzes: 85; Seriennummer: A3998; NARA Roll Number: 772.

[17]    Willy Oppenheimer in: My Heritage (https://www.myheritage.de/profile-OYYV6KP4PT4OGJQDZ2NBVF2Z5XQELMA-1010313/willy-oppenheimer (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 08.08.2025. 

[18]    Annelise Stern (born Ludwig), in: My Heritage (https://www.myheritage.de/profile-OYYV6KP4PT4OGJQDZ2NBVF2Z5XQELMA-1010312/annelise-stern-born-ludwig (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen am 08.08.2025.

[19]    Mitteilung des Historischen Archivs mit Rheinischem Bildarchiv der Stadt Köln, Sachgebiet Städtische Überlieferung seit 1815 und Grundsatzfragen vom 15.07.2024.

[20]    Standesamt der Stadt Köln, Sterbeurkunde Nr. 6293/2001.

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Anneliese Ludwig haben Herr und Frau Meinhold übernommen.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadt Coburg
  • Christian Boseckert
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