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Biographie
Herbert Kohn kam am 2. Dezember 1918 in Coburg zur Welt.[1] Sein Vater Max Kohn (Öffnet in einem neuen Tab) wurde am 6. Mai 1881 in Scheibenradisch (Böhmen) geboren, seine Mutter Jenny Kohn, geb. Sander (Öffnet in einem neuen Tab), kam am 4. März 1881 in Coburg zur Welt. Herbert hatte einen Bruder:
- Karl (Öffnet in einem neuen Tab) (geboren 20. Juli 1910)
Leben in Coburg und wachsender Antisemitismus
Das Leben der Coburger Juden änderte sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fast schlagartig. Viele machten für die Niederlage und das daraus resultierende wirtschaftliche und politische Chaos die Juden verantwortlich. So waren es zunächst Flugblätter, Zeitungsartikel, Plakate und Vorträge, die ab 1919 gegen die vermeintlichen Schuldigen für die Misere hetzten. Dies bildete die Basis für die späteren Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung. In einer ersten Stufe, welche nach der Machtübernahme der Coburger Nationalsozialisten im Jahr 1929 einsetzte, nahmen zunächst die Sachbeschädigungen gegen jüdisches Eigentum und Körperverletzungen gegen einzelne jüdische Bürger massiv zu. Die Juden ihrerseits versuchten sich in dieser Phase mit Anzeigen und Gerichtsprozessen zur Wehr zu setzen. Gebracht hat dies allerdings nichts. In dieser Zeit verließen auch viele Juden die Vestestadt. Umfasste die jüdische Gemeinde 1925 noch 316 Personen, so sank deren Zahl bis 1933 auf 233 ab.[2]
Inwieweit Herbert Kohn, der 1931 in der hiesigen Synagoge seine Bar Mitzwa erhielt, diese Entwicklung wahrnahm, ist nicht überliefert. Zu dieser Zeit waren Schülerinnen und Schüler noch unterschiedlich stark von Antisemitismus betroffen. Die Intensität und Art der Diskriminierung variierten bis 1933 erheblich: Während einige keinerlei antisemitische Erfahrungen in ihrer Schulgemeinschaft machten, litten andere zunehmend unter Diskriminierung, Isolation und Anfeindungen durch Mitschüler oder Lehrer. Dieses zwiespältige Bild wird durch die bisherigen Forschungen von Hubert Fromm anhand einzelner Biografien bestätigt.[3]
Kohn dürfte allerdings die wirtschaftlichen Probleme seiner Eltern mitbekommen haben, die seit 1921 ein Kaufhaus betrieben.[4] Mit der wachsenden politischen Macht der NSDAP begannen auch konkrete Maßnahmen, die sich gezielt gegen jüdische Bürger und Firmen richteten. 1927 hetzte etwa die völkisch-nationalistische Zeitung „Weckruf“ mit dem Satz: „Das jüdische Warenhaus, der Ruin des deutschen Geschäftsmannes.“[5] Zwei Jahre später verabschiedete die NSDAP-Mehrheit im Coburger Stadtrat eine Sondersteuer auf Kaufhäuser – offiziell zur Unterstützung kleiner Einzelhändler, faktisch aber Teil einer diskriminierenden Wirtschaftspolitik gegenüber den jüdisch geführten Betrieben.[6]
Diese Sondersteuer belastete das Kaufhaus von Herberts Elten zusätzlich. Im Zuge der allgemeinen Verschärfung der wirtschaftlichen Lage durch die Weltwirtschaftskrise musste Max Kohn schließlich im Jahr 1931 das Kaufhaus schließen.[7] In den folgenden Jahren arbeitete Herberts Vater als Handelsvertreter für Seifen- und Waschmittelprodukte, verfügte aber über kein eigenes Ladenlokal mehr.[8]
NS-Zeit
Nach der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 blieb Herbert Kohn zunächst von direkten Repressionen verschont. Das Geschäft seines Vaters wurde nicht boykottiert, und er blieb von Übergriffen verschont. Anders erging es seinem Onkel Siegfried Kohn und seinem Bruder Karl, die von SA-Männern misshandelt wurden.[9] Karl zog daraufhin nach Nürnberg und später nach Augsburg.[10]
Herbert Kohn selbst wurde wohl aufgrund der gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Coburger Juden zu seinen Verwandten nach Scheibenradisch in die Tschechoslowakei geschickt. Dort blieb er für drei Monate.[11] Er kehrte danach nach Coburg zurück und erlernte den Beruf des Kaufmanns.[12]
Langfristig traf Herbert Kohn die zunehmende Entrechtung. Mit den „Nürnberger Gesetzen“ von 1935, insbesondere dem „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes“, wurden Beziehungen zwischen Juden und „Deutschblütigen“ verboten.[13] Im November 1937 wurde deshalb sein Vater Max wegen angeblicher „Rassenschande“ verhaftet[14] – trotz fehlender Beweise[15] – und zu drei Jahren Zuchthaus sowie fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.[16] Er kam ins Zuchthaus Amberg. Herberts wirtschaftliche und soziale Lage, auch die seiner Mutter, verschlechterte sich dadurch erheblich.
Am 10. November 1938 war Herbert Kohn erstmals Ziel massiver antisemitischer Gewalt im Rahmen der reichsweiten Novemberpogrome. In Coburg wurden jüdische Bürger aus ihren Wohnungen geholt, öffentlich durch die Straßen getrieben und auf dem Marktplatz zur Schau gestellt.[17] Während Frauen und Kinder, darunter seine Mutter Jenny, in ihre Wohnungen zurückkehren konnten, wurden die Männer zunächst in die Angerturnhalle gebracht. Von dort aus sollten 16 von ihnen in das Konzentrationslager Dachau deportiert werden. Aufgrund der Überfüllung wurde ein Teil der Verhafteten in das Gefängnis nach Hof (Saale) gebracht.[18] Ob Herbert Kohn unter ihnen war, lässt sich anhand der Quellen nicht mehr nachweisen. Infolge der Ereignisse entschied sich Herbert aber wohl, aus Deutschland zu fliehen.
Flucht aus Deutschland
Um der zunehmenden Bedrohung durch das NS-Regime zu entkommen, nahm Herbert Kohn spätestens 1938 Kontakt mit dem Dachverband zionistischer Jugendorganisationen in Deutschland auf – dem Hechaluz. Diese Bewegung verstand sich als zionistisch-sozialistisch orientiert und hatte das Ziel, jüdische Jugendliche auf ein Leben in Palästina vorzubereiten. Dazu bot sie sogenannte „Hachschara“-Maßnahmen an – praxisorientierte Schulungen in landwirtschaftlicher und handwerklicher Arbeit, die zugleich zur Fluchtvorbereitung dienten.
Im April 1939 kam Kohn über die Vermittlung des Hechaluz in das Hachschara-Lager Gut Winkel bei Spreenhagen in Brandenburg.[19] Dort erhielt er eine erste Ausbildung im gärtnerischen und landwirtschaftlichen Bereich. Wenige Wochen später wechselte er zur weiteren Qualifikation in das jüdische Umschulungs- und Einsatzlager Paderborn. Derartige Einrichtungen wurden zunehmend auch zu Zwischenstationen für Juden, die nach Palästina auswandern wollten, unter dem zunehmenden Druck nationalsozialistischer Verfolgung. Kohns Ausbildung war im Sommer 1940 abgeschlossen.[20]
Mitte August 1940 begann seine Flucht aus Deutschland. Den verfügbaren Informationen zufolge führte seine Route über Wien und das Schwarze Meer bis in den rumänischen Hafen von Tulcea. Dort bestieg er gemeinsam mit rund 500 weiteren Ausreisewilligen das Schiff SS Pacific, das Kurs auf Palästina nahm.[21] Diese Einwanderung erfolgte außerhalb der durch die britische Mandatsmacht erlassenen Quotenregelung, die im sogenannten Weißbuch von 1939 stark eingeschränkt worden war – eine Maßnahme, die unter dem Druck der arabischen Revolte zustande gekommen war und die legale jüdische Zuwanderung de facto massiv behinderte.
Am 31. Oktober 1940 wurde die Pacific von der britischen Marine vor der Küste Palästinas gestoppt und in den Hafen von Haifa eskortiert. Die britischen Behörden stuften die Passagiere, darunter Herbert Kohn, als „illegale Einwanderer“ ein – ein Begriff, der aus der Perspektive der Mandatsmacht spricht, während aus heutiger Sicht viele dieser Menschen als politisch Verfolgte und Geflüchtete zu gelten haben. Bei seiner Ankunft in Haifa verfügte Kohn demnach lediglich über wenige persönliche Habseligkeiten, darunter laut späteren Angaben drei US-Dollar.[22]
Die britischen Behörden planten, die Passagiere – zusammen mit weiteren 1.900 Geflüchteten – auf die Insel Mauritius im Indischen Ozean zu deportieren.[23] Herbert Kohn wurde daraufhin auf die SS Patria gebracht, ein für diesen Zweck vorgesehenes Transportschiff. [24] Die jüdische paramilitärische Organisation Haganah, die gegen die britische Einwanderungspolitik opponierte, verfolgte das Ziel, die Ausreise der Patria zu verhindern. Sie brachte am 25. November 1940 einen Sprengsatz an Bord an, der das Schiff fahruntüchtig machen sollte. Die Detonation fiel jedoch stärker aus als geplant: Die Patria sank im Hafen von Haifa. Nach unterschiedlichen Quellen kamen dabei zwischen 200 und 270 Menschen ums Leben.[25] Herbert Kohn überlebte die Explosion und wurde gemeinsam mit anderen Überlebenden an Land gebracht.
Die Überlebenden wurden daraufhin in das Internierungslager Atlit, etwa 20 Kilometer südlich von Haifa, überstellt. Dieses Lager diente der britischen Mandatsverwaltung seit 1939 zur Internierung „unerlaubt“ eingewanderter jüdischer Flüchtlinge. Das Vorgehen der britischen Behörden – insbesondere angesichts der Tragödie der Patria – rief internationale Kritik hervor.[26] Unter diesem Druck sowie angesichts organisatorischer Herausforderungen im Zuge des Zweiten Weltkriegs gaben die britischen Behörden ihre ursprünglichen Deportationspläne auf. Im Laufe des Jahres 1941 – laut Berichten spätestens im Dezember – wurden die Überlebenden aus Atlit freigelassen und durften sich in Palästina niederlassen.[27]
Herbert Kohn gehörte zu diesen Überlebenden. Nach seiner Entlassung aus dem Lager ließ er sich in Palästina nieder und nahm den hebräischen Vornamen Zwi an – ein Schritt, der unter Einwanderern aus Europa häufig symbolisch für den Beginn eines neuen Lebens im Jischuw, der jüdischen Gemeinschaft in Palästina, stand. Nach späteren Angaben lebte er 1960 mit seiner Familie in der Stadt Givʿatajim östlich von Tel Aviv.[28] Über seinen weiteren Lebensweg nach diesem Zeitpunkt geben die bislang verfügbaren Quellen keine Auskunft.
Quellen- und Literaturverzeichnis
[1] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Kohn Herbert.
[2] Eva Karl, Coburg voran!“ Mechanismen der Macht – Herrschen und Leben in der „ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands“, Regensburg 2025, S. 39-172.
[3] Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001, S. 247 (Beispiel: Esther Hirschfeld (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 252f. (Beispiel: Hildegard Reinstein (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 266f. (Beispiel: Max G. Löwenherz); S. 287 (Beispiel: Hans Morgenthau (Öffnet in einem neuen Tab)); S. 292 (Beispiel: Gertrude Mayer); S. 307 (Beispiel: Siegbert Kaufmann (Öffnet in einem neuen Tab)).
[4] Stadtarchiv Coburg, Gewerbekartei, Kohn, Max.
[5] "Weckruf" Nr. 23/1927.
[6] "Bayerische Ostmark" vom 14.01.1939.
[7] "Coburger Zeitung" vom 05.05.1931.
[8] Stadtarchiv Coburg, Gewerbekartei, Kohn, Max; Siehe auch: "Bayerische Ostmark" vom 23.11.1937.
[9] Staatsarchiv Coburg, StAnw 906, fol. 66; Siehe auch: Fromm, Coburger Juden, S. 65f.
[10] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Kohn, Karl.
[11] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Kohn, Herbert.
[12] Ebd.
[13] RGbl, I 1935, S. 1146.
[14] "Bayerische Ostmark" vom 23.11.1937.
[15] Karl, "Coburg voran!", S. 491.
[16] Konzentrationslager Buchenwald, Akte von Kohn, Max, geboren am 26.05.1881, in: Arolsen Archiv (https://collections.arolsen-archives.org/de/document/6306911 (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 06.06.2024; Staatsarchiv Coburg, Amtsgericht Coburg 60.132, fol. 10.
[17] Fromm, Coburger Juden, S. 94-97.
[18] Die Beschreibung dieses Ereignisses bei Fromm, S. 95ff.
[19] Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Kohn, Herbert.
[20] Franz-Josef Wittstamm, Kohn Herbert, in: Spuren im Vest (https://spurenimvest.de/2022/09/20/kohn-herbert/ (Öffnet in einem neuen Tab)), aufgerufen 17.06.2024.
[21] Vgl. William R. Perl, The Four-Front War. From the Holocaust to the promised Land, New York 1979, S. 242; https://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=9969044 (Öffnet in einem neuen Tab), aufgerufen am 17.06.2024.
[22] Ebd.
[23] Perl, William R.: The Four-Front War, S.245.
[24] https://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=9972752 (Öffnet in einem neuen Tab), aufgerufen 17.06.2024.
[25] Dalia Ofer, Escaping the Holocaust. Illegal Immigration to the Land of Israel, 1939-1944, New York, Oxford 1990, S. 35, 123.
[26] Perl: Four-Front War, S.249-251.
[27] Ofer, Escaping, S. 35, 123.
[28] Staatsarchiv Coburg, AG Co 60.132, fol. 2.
Patenschaft
Die Patenschaft über den Stolperstein von Herbert Kohn hat die SPD-Fraktion im Coburger Stadtrat übernommen.
