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Stadt Coburg

Stolperstein

Hildegard Ehrlich, verh. Reinstein

Inhalt

  1. Biographie
  2. Wachsender Antisemitismus
  3. NS-Zeit und Flucht
  4. Heirat, Leben in den USA und Tod
Verlegeort des Stolpersteins

Biographie

Stolperstein für Hildegard Ehrlich (ki-bearbeitet)

Hildegard Ehrlich kam am 9. Februar 1918 in Coburg zur Welt.[1] Ihr Vater Hermann Ehrlich (Öffnet in einem neuen Tab) wurde am 17. August 1882 in Römhild (Herzogtum Meiningen) geboren, ihre Mutter Anna Ehrlich (Öffnet in einem neuen Tab), geb. Sichel, kam am 19. Juni 1889 in Veitshöchheim (Königreich Bayern) zur Welt. Hildegard hatte einen Bruder:

Wachsender Antisemitismus

Alexandrinenschule

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs veränderte sich die gesellschaftliche Situation der jüdischen Bevölkerung in Coburg spürbar. Antisemitische Einstellungen, die bereits im Kaiserreich verbreitet gewesen waren, erhielten durch die militärische Niederlage, die Folgen des Versailler Vertrags sowie die politischen und wirtschaftlichen Krisenjahre neue Nahrung. In Teilen der Bevölkerung wurden Juden fälschlicherweise als Mitverantwortliche für die Niederlage und die schwierige Nachkriegslage betrachtet – ein Vorwurf, der sich in der antisemitischen „Dolchstoßlegende“ widerspiegelte.

Bereits ab 1919 sind in Coburg vermehrt antisemitische Äußerungen und Agitationen in Flugblättern, Zeitungsartikeln, Plakaten und öffentlichen Vorträgen nachweisbar. Diese Formen der Propaganda trugen dazu bei, ein Klima zu schaffen, in dem spätere Diskriminierungen und Gewaltakte leichter Anschluss fanden.

Einen deutlichen Einschnitt bildete der kommunalpolitische Erfolg der NSDAP in Coburg im Jahr 1929, als die Partei bei den Stadtratswahlen die stärkste Fraktion stellte. In der Folge häuften sich Berichte über Sachbeschädigungen an jüdischem Eigentum sowie Übergriffe auf einzelne jüdische Bürgerinnen und Bürger. Angehörige der jüdischen Gemeinde reagierten auf solche Angriffe unter anderem mit Anzeigen und Klagen. Die überlieferten Gerichtsakten zeigen jedoch, dass diese rechtlichen Schritte nur selten zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation führten.

Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde ging in dieser Zeit spürbar zurück: Während 1925 noch 316 Personen gezählt wurden, waren es 1933 nur noch 233. Neben wirtschaftlichen Gründen spielten für diesen Rückgang auch Wegzüge aufgrund der zunehmenden antisemitischen Anfeindungen eine Rolle.[3]

Hildegard Ehrlich erlebte diese Entwicklungen während seiner Kindheit und Jugend. Er besuchte ab etwa 1924 die Rückertschule und später die höhere Mädchenschule (Alexandrinenschule). Die Erfahrungsberichte jüdischer Schülerinnen und Schüler dieser Zeit sind uneinheitlich: Einige berichten, sie hätten bis 1933 kaum antisemitische Anfeindungen erlebt, andere schildern Ausgrenzung, Isolation oder offene Feindseligkeiten – sowohl durch Mitschüler als auch durch Lehrkräfte. Hildegard Ehrlich indes berichtete, dass sie in den 1920er Jahren eine unbeschwerte Kindheit erlebt hat.

In ihrer Freizeit war Hildegard sportlich aktiv und Mitglied im VfB Coburg. Besonders in der Leichtathletik feierte sie zahlreiche Erfolge. Auch dem Skisport galt ihr großes Interesse.[4]   

NS-Zeit und Flucht

Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Deutschen Reich im Januar 1933 verschlechterte sich die Situation der jüdischen Bevölkerung auch in Coburg spürbar. Nach den Erinnerungen Hildegard Ehrlichs, überliefert in Gesprächen mit Hubert Fromm, kam es insbesondere im schulischen Umfeld vermehrt zu Spott und Beschimpfungen. Im Alter von etwa 15 Jahren wechselte sie daher – nach Entscheidung ihrer Eltern – auf die Jüdische Mädchenschule in Wolfratshausen.

Bereits ein Jahr später berichtete sie von einer Zunahme der allgemeinen Repressionen gegen jüdische Einrichtungen, sodass die Familie einen weiteren Ortswechsel plante. 1935 erhielten ihre Eltern für sie ein Visum für das Vereinigte Königreich. In britischen Einwanderungsakten wird dies als „student permit“ geführt, wobei die Regelungen damals auch für minderjährige Schülerinnen galten. In England setzte sie ihre Ausbildung fort und arbeitete parallel als Hausangestellte in Leeds und London, bevor sie als Sachbearbeiterin in einem jüdischen Flüchtlingsbüro tätig war.[5]

Im Jahr 1938 besuchte Hildegard Ehrlich ihre Eltern in Coburg. Während dieses Aufenthalts trat am 5. Oktober 1938 die „Verordnung über Reisepässe von Juden“ in Kraft, durch die Pässe deutscher Jüdinnen und Juden ihre Gültigkeit verloren, eingezogen oder mit dem „J“-Stempel versehen wurden.[6] Nach eigener Aussage reiste sie dennoch über Belgien nach England zurück. An der Grenze wurde sie kontrolliert, durfte jedoch weiterreisen. Nachdem sie die Grenze per Zug überquert hatte, entlud sich der enorme psychische Druck, unter dem sie gestanden hatte: leichenblass eilte sie auf die Zugtoilette und übergab sich.[7]

Im November 1938, nach den antijüdischen Ausschreitungen der Reichspogromnacht, wurde ihr Vater inhaftiert. Um ihn freizubekommen, verkauften die Eltern in dieser Zeit ihr Haus am Zinkenwehr. Im Mai 1939 verließen sie Coburg in Richtung England, wo sie zunächst bei Hildegard in London wohnten.[8]

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 und dem Kriegseintritt Großbritanniens erschien die Emigration in die Vereinigten Staaten als sicherere Perspektive. Dort lebte bereits Hildegards Bruder Karl.[9] Sie und ihre Eltern reisten 1940 nach Glasgow, von wo aus sie mit der SS Cameronia in die Vereinigten Staaten übersetzten. Am 10. September 1940 erreichten sie den Hafen von New York.[10]

Die Einreise in die USA unterlag zu dieser Zeit strengen gesetzlichen Regelungen. Grundlage war der Immigration Act von 1924, der Einwanderungsquoten nach Herkunftsländern festlegte. Für Deutschland und Österreich galt eine kombinierte Jahresquote von rund 27.000 Personen, die durch die große Zahl jüdischer Flüchtlinge in den Jahren 1938–1940 stark ausgelastet war. Ein Visum erforderte u. a. eine Bürgschaft (Affidavit of Support) von in den USA lebenden Personen, um nachzuweisen, dass der Antragsteller nicht der öffentlichen Fürsorge zur Last fallen würde. Viele Flüchtlinge mussten jahrelang auf einen Termin warten. Dass Anna und Hermann Ehrlich 1940 ein Visum erhielten, dürfte maßgeblich der Unterstützung ihres Sohnes Karl und weiterer in den Vereinigten Staaten lebender Angehöriger zu verdanken gewesen sein.

Heirat, Leben in den USA und Tod

Laut Unterlagen heiratete Hildegard Ehrlich am 15. Mai 1941 in New York den Bankangestellten Alfred Reinstein.[11] Dieser war am 23. Dezember 1909 in Wiesbaden geboren. Seine Eltern, Sally Salomon Reinstein, Textilkaufmann, und Clara Reinstein, geborene Benjamin, wurden 1938 und 1943 Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Das Ehepaar Reinstein hatte zwei Söhne. 

Nachdem Hildegard zunächst als Sekretärin gearbeitet hatte, widmete sie sich ab der Geburt ihrer Kinder dem Familienleben und führte den gemeinsamen Haushalt.[12] Die Familie lebte in den folgenden Jahrzehnten an mehreren Wohnorten in den Vereinigten Staaten. In den Jahren 1988/89 übermittelte Hildegard dem Coburger Autor Hubert Fromm persönliche Erinnerungen an ihre Geburtsstadt, die in dessen Publikation „Die Coburger Juden“ von 1990 Verwendung fanden.[13]

Hildegard Ehrlich verstarb am 20. April 1999 im Alter von 81 Jahren in Scottsdale, Arizona. Sie wurde auf dem Green Acres Memorial Park in Scottsdale beigesetzt.[14] 

In Coburg erinnern zwei Stolpersteine an Hildegard Ehrlich: Einer vor ihrer ehemaligen Schule in der Unteren Anlage, der andere vor ihrem Elternhaus in der Sally-Ehrlich-Straße.

Quellen- und Literaturverzeichnis

[1]   "Coburger Zeitung" vom 23.02.1918.

[2]   "Coburger Zeitung" vom 01.07.1915.

[3]   Zusammenfassung von Hubert Fromm, Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal, Coburg ²2001. 

[4]   Fromm, Coburger Juden ²2001, S. 252f.

[5]   Zusammenfassung bei Fromm, Coburger Juden ²2001, S. 253. Zur jüdischen Mädchenschule in Wolfratshausen siehe Kirsten Jörgensen / Sybille Krafft (Hrsg.), „Wir lebten in einer Oase des Friedens...“ Die Geschichte einer jüdischen Mädchenschule 1926-1938. München 2009 (Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit). Zu ihrem Beruf siehe The National Archives, Kew, London, England; 1939 Register; Referenz: RG 101/862G.

[6]   „Reichsministerium des Innern „Verordnung über Reisepässe von Juden“ vom 5.10.38: „Alle deutschen Reisepässe, deren Inhaber Juden sind, werden ungültig. Die früher ausgestellten Reisepässe sollen abgeliefert werden. Auslandspässe werden wieder gültig, nachdem sie mit einem ´J´ versehen worden sind.“ Text bei: Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Karlsruhe 1981, S. 244. Siehe auch: RGBl. 1938 I, S. 1342.

[7]    Ausführlicher bei Fromm, Coburger Juden ²2001, S. 253.

[8]    Stadtarchiv Coburg, Einwohnerkartei, Ehrlich, Hermann und Anna, geb. Sichel; Siehe auch: The National Archives London, 1939 Register; Referenz: RG 101/862G.

[9]    Fromm, Coburger Juden ²2001, S. 254.

[10]   The National Archives in Washington, D.C.; Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897-1957; Mikrofilm-Seriennummer o. NAID: T715; Titel der Aufzeichnungsgruppe (RG, Record Group): Records of the Immigration and Naturalization Service, 1787-2004; RG: 85; The National Archives; Kew, Surrey, England; BT27 Board of Trade: Commercial and Statistical Department and Successors: Outwards Passenger Lists; Referenznummer: Series BT27-144242.

[11]   New York City Department of Records & Information Services; New York City, New York; New York City Marriage Licenses; Gemeinde: Manhattan; Jahr: 1941. 

[12]   National Archives at Washington, DC; Washington, D.C.; Seventeenth Census of the United States, 1950; Jahr: 1950; Gebiet der Volkszählung: Camden, Camden, New Jersey; Rolle: 2383; Seite: 74; Zählungsdistrikt: 24-173

[13]   National Archives at Washington, DC, Seventeenth Census of the United States, 1950; Jahr: 1950; Gebiet der Volkszählung: Camden, Camden, New Jersey; Rolle: 2383; S. 74; Zählungsdistrikt: 24-173; New York City Department of Records & Information Services; New York City, New York; New York City Marriage Licenses; Gemeinde: Manhattan; Jahr: 1941.

[14]   Fromm, Coburger Juden ²2001, S. 258, Fn. 3.

[15]   Arizona Republic vom 23.04.1999; Siehe auch: https://de.findagrave.com/memorial/154804393/hildegarde-reinstein (Öffnet in einem neuen Tab) (aufgerufen am 08.05.2024). 

Patenschaft

Die Patenschaft über den Stolperstein von Hildegard Ehrlich haben Ronald und Peter Reinstein übernommen.

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Stadt Coburg
  • Städtische Sammlungen Coburg, Inv.-Nr. 13689,3
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